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Real Madrid - wie ein Käfer, der sich wendet

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Von: Jan Christian Müller

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Völlig losgelöst: Karim Benzema.
Völlig losgelöst: Karim Benzema. © AFP

Die betagten Fußballprofis von Real Madrid laufen wie aus einem Jungbrunnen entfleucht übers Feld, angeleitet von einem Trainer kurz vorm Pensionsalter - und doch sind sie überragend. Ein Kommentar

Irgendwann, so heißt es richtigerweise in der Fußballersprache, ist Glück kein Zufall mehr. Das gilt seit einer halben Ewigkeit für den sogenannten „Bayern-Dusel“, eine Abart von Glück, die sehr viel mit Können zu tun hat. Und das gilt ganz sicher nun auch für die pragmatische Magie von Real Madrid.

Im Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain stand es im Rückspiel nach einer Stunde zusammengezählt 0:2. Real lag wie ein Käfer auf dem Rücken, strampelte, wendete sich auf wundersame Art und Weise und traf durch den unbeugsamen Karim Benzema dreimal: 61., 76., 78. Minute.

Im Viertelfinale gegen den FC Chelsea lag Real nach einem 3:1 im Hinspiel eine Woche später im Rückspiel nach 75 Minuten schon 0:3 zurück - blieb unbeeindruckt, machte zwei Tore und kam durch Benzemas Treffer zum 2:3 nach Verlängerung weiter.

Im Halbfinale führt Manchester City zusammengerechnet nach 89 Minuten 5:3, ehe sich Real kurz schüttelte und binnen weniger Minuten dreimal traf. Zum Abschluss durch: selbstverständlich Benzema.

Keine andere Mannschaft der Welt bringt Aufwand und Ertrag derart gewinnbringend zusammen wie der frisch dekorierte spanische Meister.

Nachdem Real 2018 zum vierten Mal binnen fünf Jahren die Königsklasse gewonnen hatte, glaubte auch der nunmehr demütig seiner Ahnungslosigkeit enttarnte Autor dieser Zeilen, eine überreife Truppe sei damit am Ende ihrer Schaffenskraft angekommen.

Und dann flitzt drei Jahre und eine halbwegs überstandene Pandemie danach die halbe Mannschaft mit Nacho (32), Carvajal (30), Casemiro (30), Kroos (32), Modric (36) und Benzema (34) wie aus einem Jungbrunnen entfleucht übers Feld, angeleitet von einem Trainer kurz vorm Pensionsalter, dessen Gemütszustand sich allenfalls an der Konsistenz seines Kaugummis und der Traktion seines Kiefers erkennen lässt. Und am Spielfeldrand hüpft der einst beste Linksverteidiger der Welt, Marcelo (33), wie verrückt durch Carlo Ancelottis Bereich, als sei die Coachingzone ein Trampolin.

Der verletzte David Alaba hat den Aggregatzustand seines Teams in Ermangelung anderer Vokabeln für „geisteskrank“ erklärt. Toni Kroos beschreibt das Zusammenspiel zwischen Trainer und Team etwas präziser. Ancelotti nähme die Führungskräfte im laufenden Betrieb immer dann mit ins Boot, „wenn er Zweifel hat“. So kommt es, dass ein hochdekorierter Kroos in voller Einsicht den Platz räumt für den elf Jahre jüngeren Matchwinner Rodrygo.

Und vielleicht ist trotz der gerade für fast eine Milliarde Euro vonstatten gehenden Umbauarbeiten im Estadio Bernabeu ja doch etwas von dem Zauber des monumentalen Stadions auf die Spieler übertragen worden. Kaum vorstellbar, dass dermaßen heldenhafte Auferstehungen vor der Corona-Geisterkulisse im Trainingstadion Alfredo Di Stéfano möglich gewesen wären, wo Real zwei Jahre lang bei Heimspielen in karger Umgebung campierte.

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