Polizeischutz für den Angeklagten Sascha Stegemann

Was der Fehler von Schiedsrichter Sascha Stegemann beim Bundesligaspiel VfL Bochum gegen Borussia Dortmund ausgelöst hat.
Am Sonntag wäre Robert Hartmann bereit gewesen, den Kollegen Sascha Stegemann in den „Doppelpass“ zu begleiten. Aber es gibt Momente im Leben im katholisch geprägten Allgäu, die wichtiger sind als ein Fußball-Stammtisch. Die heilige Kommunion der Kinder zum Beispiel. Videoassistent Hartmann war also unpässlich, weshalb Schiedsrichter Stegemann allein zu Kreuze kroch.
Es wurde dort einmal mehr offenkundig, dass der vor knapp sechs Jahren eingeführte Videobeweis den Druck auf Schiedsrichter nicht, wie beabsichtigt, verringert, sondern im Gegenteil maximiert hat. Auch deshalb, weil der öffentliche Anspruch an roboterhafte Gerechtigkeit aufgrund der Fehlerquelle Mensch nicht zuverlässig erfüllt wird. Stattdessen werden Szenen seziert und bewütet, die im Pre-VAR-Zeitalter am Tag darauf schon fast vergessen waren.
Stegemann sah als Angeklagter im Fernseh-Tribunal übernächtigt aus, sprach reumütig von einem „klaren Strafstoß“, den er dem BVB verweigert hätte und drückte sein ehrliches Bedauern darüber aus, berichtete aber auch von Drohungen gegen sich und seine Familie, weshalb er Anzeige erstattet habe und Polizeischutz avisiert sei. Die Borussia stellte via Boss Hans-Joachim Watzke klar, Attacken in Sozialen Medien seien „nicht einmal im Ansatz“ zu tolerieren.
Es war in einer bedeutenden Szene alles schiefgelaufen am Freitagabend im Bundesligaspiel von Borussia Dortmund beim VfL Bochum, das 1:1 endete. In der 65. Minute rauschte der bereits gelbverwarnte Bochumer Danilo Soares dem Dortmunder Angreifer Karim Adeyemi mit beiden Beinen voraus im eigenen Strafraum in die Parade. Wenngleich der zuletzt wiederholt durch Betrugsversuche mittels Schwalben aufgefallene Borusse sein rechtes Bein in Richtung des Gegenspielers ausstellte und genau dort auch getroffen wurde, handelte es sich um ein unzweifelhaft strafstoßwürdiges Foulspiel. Das bestätigte tags darauf auch hochoffiziell die Schiedsrichterleitung des Deutschen Fußball-Bundes.
Die Erkenntnis kam zu spät. Stegemann hatte die Szene falsch interpretiert und nicht gepfiffen, Hartmann vor der Videowand im Kölner Keller ebenfalls nicht eingegriffen. Adeyemis wiederholte Täuschungsversuche könnten eine Rolle gespielt haben, zumal diese in der vergangenen Woche auf einer Schiri-Schulung gezeigt worden waren. Hartmanns Wohnort Bayern wurde thematisiert. Stegemanns Vorgeschichte ebenso. Schließlich hatte der Referee im vergangenen Oktober beim Spiel von Eintracht Frankfurt gegen Dortmund den Hessen einen klaren Strafstoß verweigert, als - Ironie der Geschichte - ausgerechnet derselbe Adeyemi, der jetzt Opfer der Fehlentscheidung war, den einschussbereiten Frankfurt Jesper Lindström im Strafraum von hinten weggestoßen hatte. Dortmund gewann 2:1.
Gräfe kritisiert Schiri-Chefs
Der im Dauerzwist mit der Schiri-Führung um Lutz Michael Fröhlich befindliche Ex-Topschiedsrichter Manuel Gräfe kritisierte via Twitter die Leitungsebene im Verband. Die Ansetzung habe „aufgrund der Vorbelastung und regionalen Aspekten“ zu „unnötigem Druck und Angriffsfläche“ geführt.
Schützend stellten sich sowohl Gräfe als auch Ex-Fifa-Referee Thorsten Kinhöfer vor Videoassistent Hartmann, von dem zuvor ein Bild aufgetaucht war, das ihn im vergangenen Sommer auf einer Schiri-Fortbildungsveranstaltung des FC Bayern zeigte, als ihm ein Trikot des Meisters überreicht worden war. Derartige Giveaways seien laut Gräfe aus solchen Anlässen üblich, sie würden in der Regel zu sozialen Zwecken weiterverschenkt. „Bild“-Experte Kinhöfer hält auch Kritik an der regionalen Nähe von Hartmann zu München für „Verschwörungstheorien“.
Während Dortmunds Sportdirektor Sebastian Kehl am Freitagabend sagte, es sei „feige und falsch“ gewesen, sich die Situation nicht nochmal anzusehen, äußerte sich Nationalspieler Julian Brandt angenehm zurückhaltend: „Ich ärgere mich am meisten über unser eigenes Unvermögen.“