Neuendorfs Ausrufezeichen

Der DFB-Präsident sieht den lange schlecht beleumundeten Verband wieder als „treibende Kraft“
Seit 100 Tagen befindet sich Bernd Neuendorf inzwischen im Hochamt eines DFB-Präsidenten. Zeit für den obersten Fußballmann im Land, ein Zwischenfazit zu ziehen. Das, wenig überraschend, positiv ausfällt. Was im Angesicht der bösen Zerwürfnisse seiner Vorgänger auch nicht so furchtbar schwierig ist. Das soll Neuendorfs kurzfristige Errungenschaften nicht schmälern. Der 60-Jährige ist sicherlich ein Mann, der es versteht, strukturiert zu arbeiten und seine Erkenntnisse zu vielen Seiten abzusichern, eher er Halbgares ins Fußballland hinausposaunt.
Am Montagmorgen präsentierte der vormalige SPD-Politiker in einer Videokonferenz, was bisher so passiert ist, seit er sein Büro im neuen DFB-Campus in Frankfurt bezogen hat. Dabei ist es sicher kein Zufall, dass er die neue Generalsekretärin Heike Ullrich nah an seiner Seite sitzen ließ. Ausdruck eines vertrauensvollen Verhältnisses, so ganz anders als jenes Nicht-Verhältnis, welches der vormalige DFB-Boss Fritz Keller mit dem Ex-Generalsekretär Friedrich Curtius verbunden hatte. Neuendorf wähnt sich auch mit der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und deren Top-Leuten Aki Watzke und Donata Hopfen vollkommen im Reinen. Das ist keinesfalls selbstverständlich. Denn Ex-DFL-Boss Christian Seifert und ehemalige DFB-Führungsleute wie Rainer Koch waren sich zum gemeinsamen Ende hin in gegenseitig tiefer Abneigung begegnet.
Neuendorf findet, inzwischen sei eine „gewisse Stabilität“ in den Verband zurückgekehrt. Und er legt Wert darauf, dass die Vokabel „Stabilität“ keineswegs zu verwechseln sei mit „Ruhe“. Er wolle keine Ruhe. „Ich will produktive Unruhe.“ Er glaubt nach all den Abgründen, die der DFB in der Vergangenheit zielsicher angesteuert hat, schon feststellen zu können: „Wir sind nicht mehr die Getriebenen, sondern eine treibende Kraft.“
Das sind allemal schöne Worte, Neuendorf beteuert, er habe diese bereits mit Leben gefüllt. „Die Verdrahtung zur Politik hat enorm zugenommen“, bis in höchste Ebenen, versteht sich. Der vormals schlecht beleumundete DFB, mit dem niemand in Berlin etwas zu tun haben wollte, stoße inzwischen „wieder auf Bereitschaft der Politik, sich mit unseren Anliegen zu befassen“. Zuvorderst: Möglichst viele der 41 000 Fußballplätze im Land in Schuss zu bringen.
Auch mit den großen Verbänden sei er im Gespräch, mit der Uefa gestaltete sich das für das künftige Fifa-Regierungsmitglied Neuendorf leichter. Mit Uefa-Chef Alexander Ceferin habe er schon persönlich gesprochen. Für Fifa-Chef Gianni Infantino gilt das noch nicht. Neuendorf hält sich mit einem Urteil um den umstrittenen Anführer lieber noch diplomatisch zurück. „Ich will erst mit ihm ins Gespräch kommen.“ Nur soviel: Infantinos Vorhersage, die Weltmeisterschaft in Katar werde „die größte Show der Welt und die beste WM aller Zeiten“ teilt er so nicht: „Da würde ich mal ein Fragezeichen dahinter machen.“
Ein Fragezeichen setzt der Neue an der Spitze des DFB auch hinter den Begriff „Die Mannschaft“. Bis Ende Juli nach Einholung einer repräsentativen Meinungsumfrage wird es da eine Entscheidung des DFB-Präsidiums geben, verspricht Neuendorf. Nur noch ein kleines Fragezeichen, wie es scheint, ehe der Claim für immer in der Mottenkiste verschwindet
Kritik an Super League
Und dann sagt Bernd Neuendorf noch ein paar Dinge mit Ausrufezeichen. Zur Super League zum Beispiel: „Der Sport muss schon deutlich machen, dass er dem Allgemeinwohl dienen möchte und nicht den Interessen weniger.“ Die Pläne der Super League seien „ein Frontalangriff auf das europäische Sportmodell“. Oder zur Frauenfußball-WM 2027: „Die wollen wir nach Deutschland holen und in vier Stadien in Nordrhein-Westfalen austragen.“
Was den Umgang mit den Menschenrechten in Katar angeht, nimmt der DFB-Präsident dann wieder etwas den Gang heraus. Da will er bei aller Kritik an den Verhältnissen nicht vorpreschen, das ist so abgesprochen. Generalsekretärin Heike Ullrich begibt sich bald als Mitglied einer Uefa-Beobachtungsgruppe ins Emirat. Danach sollen, so Ullrich, „konkrete Vorschläge“ entwickelt werden, wie die europäischen Verbände „sinnvolle Signale“ Richtung Ausrichterland senden könnten. Man darf gespannt sein. Die Scheichs dürften schon zittern vor Furcht.