Per Navi in die Bundesliga

Trainer Jens Keller und sein 1. FC Union Berlin begeistern mit offensivem Spiel und einem großen Ziel.
So richtig den Durchblick hat Jens Keller noch immer nicht. Ohne Navi, verrät der vor 47 Jahren in Stuttgart geborene Trainer von Union Berlin, finde er sich in der deutschen Kapitale noch immer nicht zurecht. „Berlin“, sagte der ehemalige Profi von Eintracht Frankfurt und seit vergangenem Sommer Cheftrainer der Eisernen kürzlich der „Bild“, „ist beeindruckend groß“. Eine europäische Metropole eben. Aber gibt es dort auch genug Platz, um in der kommenden Saison zwei Klubs im Fußball-Oberhaus zu verkraften?
Der 1. FC Union Berlin schickt sich dieser Tage an, die zweite Liga zu rocken. Zehn von zwölf möglichen Punkten haben die Berliner im noch jungen Jahr eingesammelt, nur Tabellenführer VfB Stuttgart ist besser in die Rückrunde gestartet. Die jüngste Erfolgsgeschichte spülte den Klub auf Platz drei der Tabelle. „Wir sind kein Aufstieg-Ist-Muss-Verein“, mahnte Keller, aber den Anspruch, unter die ersten Fünf der zweiten Liga einzukommen, hatte er vor der Saison schon.
Wenn es am Ende tatsächlich für die Playoffs in der Relegation reichen sollte, „wäre das schon ein Riesenerfolg“, sagte Keller unlängst mit gebotener Vorsicht. Er weiß nur zu gut, wie schnell sich das Blatt wenden kann. Immer dann, wenn sich Anspruch und Realität nicht die Waage halten. Fußball in Berlin, das ist auch eine Glaubensfrage. Die Wessis von Hertha BSC und die Ossis von Union trennen Welten, um es harmonisch auszudrücken. Es gibt keinerlei Gemeinsamkeiten; die Fans mögen sich nicht, die Philosophien der Klubs könnten unterschiedlicher nicht sein. Im Schatten der Großkopferten aus Charlottenburg verkaufen sich die Eisernen gerne als die Unangepassten, die Alternativen, die Außenseiter. Kultig und unbequem zu sein, gehörte zur DNA des Klubs. Das Erlebnis Fußball ist in Köpenick ein anderes als in der großen Schüssel des Olympiastadions. Alles etwas kleiner, beschaulicher, bodenständiger. Manche der durchschnittlich 21 000 Zuschauer behaupten auch ehrlicher. Ähnlich wie auf St. Pauli, kommt der Klub über links.
Die Kommerzialisierung des Fußballs ist aber auch an Eisern Union nicht vorübergegangenen. Der Klub gehört im Bundesliga-Unterhaus zu den besser gestellten. In der vergangenen Saison knackte der Verein erstmals die 30-Millionen-Euro-Umsatz-Marke. Einnahmen von 31,2 Millionen Euro standen Ausgaben in Höhe von 30,8 Millionen Euro gegenüber. In der laufenden Runde rechnen die Buchhalter aus Köpenick mit Erträgen in Höhe von 34,4 Millionen Euro, die Ausgaben sollen sich bei 34 Millionen Euro einpendeln.
Geld, das der Verein und sein Chefcoach Jens Keller sinnvoll einzusetzen verstehen. Im Winter wurden etwa 1,6 Millionen Euro in die Hand genommen, um Stürmer Sebastian Polter von den Queens Park Rangers zurückzuholen. Der teuerste Transfer der Vereinshistorie, der allerdings mehr ist, als nur eine x-beliebige Personalie. Der Angreifer ist sowas wie die personifizierte Aufstiegshoffnung. Vor anderthalb Jahren war Polter ausgezogen, die große Welt des Fußballs zu entdecken. Köpenick schien dem Torjäger zu klein, um sich seine großen Ziele zu erfüllen. Nun ist der robuste Angreifer zurück – und mit ihm der Glaube an den erstmaligen Aufstieg in Liga eins. „Union ist konstanter geworden und näher an der Bundesliga dran“, sagte der bis ins Jahr 2020 gebundene Polter der „Berliner Zeitung“, er sei davon überzeugt, dass Union während seiner Vertragslaufzeit erstklassig gegen den Ball treten wird.
Zwei Jahre auf einen Job gewartet
Großen Anteil am Erfolg, keine Frage, besitzt der Trainer. Jens Keller ist der sportliche Vordenker. Es passt einfach zwischen Trainer und Mannschaft. In solchen Fällen spricht man gerne von einem eingeschworenen Haufen. Klingt platt, trifft es aber ziemlich gut. Er predigt seinen Profis eine offensive Spielweise, ein 4-3-3-System. „Wir glauben an unser System und lassen uns jetzt nicht mehr automatisch nach hinten fallen, wenn es nicht nach Plan läuft“, sagt der bundesligaerfahrene Emanuel Pogatetz.
Für einen wie Keller geht es im Osten Berlins aber nicht nur um den 1. FC Union. Keller bastelt auch an der eigenen Reputation. Obwohl er den FC Schalke 04 zwischen Dezember 2012 und Oktober 2014 zweimal in die Champions League führte, wurde ihm nie wirklich königsblaue Wertschätzung zuteil. Auch wenn er behauptet, Schalke sei abgehakt, kein Thema mehr für ihn, dauerte es aber fast zwei Jahre, bis der Unterschätzte wieder einen neuen Job bekam – in der zweiten Liga. „In welcher Liga man arbeitet, ist egal, so lange der Verein zu dir passt, du dir etwas erarbeiten kannst“, sagte Keller.
Der Trend spricht für den 1. FC Union Berlin. Spitzenreiter VfB Stuttgart ist sechs Punkte voraus, Hannover 96 drei Zähler. Das kann sich aber schnell ändern. Die kommenden beiden Ligaspiele bestreiten die heimstarken Berliner im eigenen Stadion an der Alten Försterei: Gegen den TSV 1860 München am kommenden Freitag und eine Woche drauf gegen Kickers Würzburg wollen die Eisernen den Druck auf die beiden Granden der zweiten Liga erhöhen und den Abstand (momentan nur ein Punkt) auf den ersten Verfolger, Herbstmeister Eintracht Braunschweig, weiter vergrößern.
Allerdings sind die Berliner nun erstmals selbst die Gejagten. Das Feld von hinten aufzurollen ist das eine, sich oben festzusetzen eine bedeutend schwierigere Angelegenheit. Mit den Siegen wächst auch der Druck, das bislang Erreichte bis ins Ziel zu retten. „Wir haben noch einen sehr langen und schweren Weg vor uns“, sagt Keller. Ein Navi kann da schon mal helfen, damit es am Ende wirklich heißt: „Sie haben ihr Ziel erreicht.“