Der nächsten Krisen-Bundestag

Der DFB ruft 262 Funktionäre virtuell zusammen, um Wege aus dem Corona-Dilemma zu finden. Die Bundesligaspieler stehen vor der Rückkehr in Quarantäne-Camps.
Der Deutsche Fußball-Bund ist Kummer gewohnt. Die Anzahl der eilig anberaumten Außerordentlichen Bundestage übertrifft deshalb zuletzt bei weitem diejenigen Treffen aller DFB-, Landesverbands- und Bundesliga-Funktionäre, die nicht einer Krisensituation geschuldet waren. Allein deren zehn Außerordentliche DFB-Bundestage gab es schon in diesem Jahrtausend. Die Anlässe waren völlig unterschiedlich: Mal ging es um korrumpierbare Schiedsrichter, mal um Machtkämpfe an oberster Stelle, mal um Streitschlichtung zwischen Amateuren und Profis, mal um die Aufarbeitung des Sommermärchen-Skandals, mal um das Absegnen des Millionenbudgets für die neuen Akademie, mal um die Wahl eines neuen Präsidenten, nachdem ein Vorgänger schon wieder zurückgetreten war.
Er ist schon ein kompliziertes Wesen, dieser DFB.
Jetzt hat der größte Einzelsportverband der Welt schon wieder einen Außerordentlichen Bundestag anberaumt, der erstmals als virtuelles Treffen stattfinden wird. Alle 262 Delegierten können am 25. Mai von zu Hause aus ihr Stimmrecht ausüben. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den deutschen Fußball sieht das 19-köpfige DFB-Präsidium als zu komplex an, als dass es sich zutrauen würde, die Konsequenzen ohne Rückfrage im großen Forum eines Bundestages zu ziehen. Denn das Risiko, dass ehrenamtliche Funktionäre persönlich von wütenden Vereinsvertretern vor Ordentliche Gerichte gezerrt würden, nachdem sie von oben über Auf- und Abstiegsfragen, Saisonabbrüche oder Ligenzusammensetzungen entschieden hätten, erscheint vielen zu hoch.
Der DFB ist für die in sich vollkommen zerstrittene Dritte Liga verantwortlich, außerdem für die Frauen-Bundesliga, in der gerade elf von zwölf Klubs für eine Fortsetzung der Saison votiert haben, sowie die zweite Frauen-Bundesliga, die B-Juniorinnen-Bundesliga und die beiden Junioren-Bundesligen. Alle tieferen Ligen befinden sich unter Obhut der Landesverbände, deren ehrenamtlich tätige Funktionäre große Furcht vor Klagen der Klubs haben. „Wir können erst Entscheidungen treffen, wenn es eine gesicherte juristische Grundlage gibt.“ Das sei „ein eminent wichtiger Punkt“, heißt es deshalb beispielsweise aus dem Haus des Hessischen Fußballverbandes.
Immerhin gibt es für den DFB auch gute Nachrichten: Der um ein Jahr auf den Sommer 2021 verschobenen EM bleibt München als Spielort erhalten. Der Stadtrat stimmte zu, an den vier Begegnungen in der Arena des FC Bayern festzuhalten. DFB-Präsident Fritz Keller nahm das erleichtert als „wichtiges Signal in einer schweren Zeit“ zur Kenntnis.
Die „schwere Zeit“ bedeutet ab Montag auch für den DFB, dass rund 20 Prozent der Belegschaft in Kurzarbeit gehen. Zudem konkretisierte der Verband auf Nachfrage der Frankfurter Rundschau den Umfang des Gehaltsverzichts unter anderem von Bundestrainer Joachim Löw und Direktor Oliver Bierhoff. Freiwillige Gehaltsverzichte bis zu 20 Prozent hätten bereits im März die Mitglieder der Sportliche Leitung sowie der DFB-Geschäftsführung und weitere Führungskräfte erklärt.
Derweil hat die Fußball-Bundesliga - öffentlich bis auf Hannover 96-Klubchef Martin Kind klaglos - akzeptiert, dass sich die Politik über eine mögliche Wiederaufnahme der Saison erst am kommenden Mittwoch, den 6. Mai, verständigen will. Kind äußerte, er hätte sich „eine Entscheidung und ein konkretes Datum gewünscht, um Planungssicherheit zu bekommen“.
Offenbar wollen Bundesregierung und Länder aber größtmögliche Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Bevölkerung nehmen und deshalb am 6. Mai nicht nur über die Bundesliga vorentscheiden. „Wer Profifußball zulässt, kann den Amateursport nicht verbieten. Erst sollten wir den Virus in die Defensive bringen, dann können wir wieder auf dem Platz stürmen“, äußerte etwa Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke.
Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) sieht sich organisatorisch in der Lage, die Saison ab Freitag, 15. Mai, fortzusetzen. Die Mannschaften hätten dann allerdings weniger als die von den meisten Trainern auch zur Verletzungsprophylaxe verlangten zwei Wochen Teamtraining zur Vorbereitung. Laut „Spiegel“ ist das medizinische DFL-Konzept auf Betreiben der Behörden nochmals überarbeitet worden. Nicht nur Spieler, Trainer und Betreuer sollen demnach regelmäßig getestet werden, sondern auch deren Familienmitglieder. Zudem sollen alle Beteiligten bis Saisonende in eine „Quasi-Quarantäne“ geschickt werden und sich ausnahmslos nur noch zwischen Wohnort und Trainingsplatz/Stadion bewegen. Die „Bild“-Zeitung berichtet zudem von Maskenpflicht auf den Ersatzbänken.
Zum DFL-Konzept gehört nach FR-Informationen ein verpflichtend vorgeschaltetes Quarantäne-Trainingslager aller Kader. Seit Donnerstag werden zudem nacheinander Spieler und Staff sämtlicher Klubs erstmals flächendeckend auf das Coronavirus getestet. RB Leipzig kündigte als erster Bundesligist bereits für Dienstag (also befremdlicherweise vor dem Grundsatzentscheid von Regierung und Ländern) die Rückkehr ins Mannschaftstraining an. Der SC Freiburg ließ dagegen wissen, Teamtraining sei aufgrund behördlicher Auflagen in Baden-Württemberg noch gar nicht möglich.
Von Eintracht Frankfurt war zu hören, das Team werde Montag und Dienstag individuell trainieren, um Mittwoch zu einem Wiedereinstiegstraining zusammenzukommen, bei dem erstmals wieder in größeren Gruppen ohne Zweikämpfe trainiert würde. Mainz 05 teilte auf FR-Anfrage mit, erst müssten alle negativen Corona-Tests vorliegen sowie „Bund, Land und Gesundheitsbehörden für das Mannschaftstraining grünes Licht geben“. Solange dieses „Go nicht gegeben wurde“, bleiben die Nullfünfer im Kleingruppentraining mit Abstandsregeln.
Die DFL hatte die Klubs eigens angewiesen, tunlichst darauf Acht zu geben, das Thema mit Rücksicht auf die gesellschaftspolitische Außenwirkung äußerst sensibel zu behandeln und unter dem Gesichtspunkt des Fairplay ligaweit einheitlich zurück ins Mannschaftstraining zu kehren.
Reserviert reagierte derweil der Chef der DFL-Expertenarztgruppe, _Dr. Tim Meyer, auf die Forderungen des Fifa-Medizinchefs Michel D’Hooghe, den Spielbetrieb bis Ende August in allen Ligen lahmzulegen. Es gehe dabei „um Leben und Tod“, hatte der belgische Fachmann argumentiert. Multimedizinfunktionär Meyer, auch Chef des medizinischen Komitees der Uefa, ließ dagegen wissen, es sei unter Berücksichtung der ausgearbeiteten Sicherheitskonzepte „definitiv möglich, die unterbrochenen Wettbewerbe fortzusetzen“.
Heribert Bruchhagen, der ehemalige Vorstandschef von Eintracht Frankfurt, sieht sich im Angesicht der Corona-Krise und des kritischen „FAZ“-Interviews von DFL-Boss Christian Seifert über „Fehlentwicklungen im System Profifußball“ (die FR berichtete) in seinen Ansichten bestätigt. Vieles in der Bundesliga sei überdreht, sagte der 71-Jährige der FR. Die Erwartungen von Fans, Medien und des Umfeldes der Klubs erforderten Jahr für Jahr ein (oft unrealistisches) besseres Ergebnis. „Die Erwartungshaltung beginnt im Grunde schon mit Veröffentlichung des Kickers-Sonderheftes vor jeder Saison“, in dem die Vereine ihre Ziele formulieren müssten. Bruchhagen sieht die DFL personell und strategisch bestens aufgestellt, um die Krise zu bewältigen: „Der Apparat ist sehr handlungsfähig.“