Murmeltiertag, oder?

Wieder ist der FC Bayern Herbstmeister. Doch es gibt ein Hauch Spannung. Dummerweise ist auch RB Leipzig unter den Titelanwärtern. Eine Hinrundenbilanz.
Nun, Ende Januar, sind endlich die ersten 17 Bundesligapartien dieser wüsten Saison rum und ganz vorne steht, Achtung Trommelwirbel: Bayern München. Herrschaftszeiten. Welch Überraschung. Wer hätte das gedacht?
Okay, okay, schalten wir den Ironiemodus aus. Ganz nüchtern die Fakten: In den vergangenen zwölf Jahren holte der erbarmungslose Titeljäger von der Isar zehnmal die sogenannte Herbstmeisterschaft, zweimal funkte ein anderer Klub dazwischen, einmal Borussia Dortmund (2018/19), ein Jahr später RB Leipzig. Auf dem Thron saß am Ende aber trotzdem der FC Nimmersatt – zehnmal in den letzten zehn Jahren. Das ist in etwa so spannend wie das TV-Testbild nach Mitternacht aus dem Jahr 1980.
Und in dieser Saison? Wird es endlich mal einen anderen geben außer den Bayern, irgendjemand in Sicht, der diese erdrückende Dominanz durchbrechen könnte? Vielleicht nur einmal. Vordergründig sieht es schlecht aus. Das Starensemble hat drei Punkte Vorsprung auf Union Berlin und eine Menge Tore geschossen, 51 an der Zahl. So viele Buden in 17 Spielen hat bisher erst eine Mannschaft jemals gemacht, natürlich die Bayern selbst, in der Vorsaison ganze 56. Da war aber dieser Lewandowski noch am Werk. Sei’s drum.
Die Münchner können auch ganz schön böse zu ihren Kontrahenten sein, gleich sechs mal verprügelten sie ihre Opponenten ziemlich dolle. 6:1 bei Eintracht Frankfurt, 7:0 in Bochum, 4:0 gegen Leverkusen, 5:0 gegen Freiburg, 6:2 gegen Mainz, 6:1 gegen Bremen. Das sind klare Statements. Und doch: Selten wirkten die Süddeutschen so anfällig, verletzbar und heterogen wie zu Beginn des neuen Jahres. Sie scheinen sich selbst besiegen zu wollen.
Sie sind überschaubar aus den Startlöchern gekommen, 1:1 in Leipzig, das ist noch okay, aber dann auch nur 1:1 im Heimspiel gegen den 1.FC Köln, mit dem eigenen Ausgleichstreffer in der 90. Minute. Das ist nicht Bayern-like. Und es kommen eine ganze Menge hausgemachter Probleme hinzu: Die Defensive wackelt gehörig, das Mittelfeld ist außer Tritt, die Kreativität verschütt’ gegangen. Und dann die ganzen Nebengeräusche: Zoff um Manuel Neuer und dessen Skiausflug auf grüner Wiese samt schwerer Verletzung. Die Entlassung des besten Neuer-Kumpels Toni Tapalovic, seines Zeichens allseits beliebter und anerkannter Torwarttrainer. Nur nicht sonderlich beliebt beim Chefcoach Julian Nagelsmann.
Dann die kleine Extravaganz eines Serge Gnabry, der am freien Tag in absurden Outfits auf der Fashion Week in Paris rumturnte. Gab gleich mal einen schönen Einlauf von Sportboss Hasan Salihamidzic: „Amateurhaft.“ Und mittendrin Jungstar-Trainer Nagelsmann, der irgendwie auch seinen inneren Kompass verloren zu haben scheint.
Der nächste Zoff droht: Aushängeschild Thomas Müller saß jetzt zweimal auf der Bank. Über ihn ist schon Niko Kovac in München gestolpert. Gut für Müller: Nach zwei Remis‘ in Serie wird der bei der WM so bitterlich enttäuschende Altstar wohl in die Startelf zurückkehren. Gegner am Samstag ist dann Eintracht Frankfurt. Ein Topspiel, erster Güte. Womit wir bei den Verfolgern wären, die gerne und reflexartig als Bayern-Jäger bezeichnet werden.
Ist also Eintracht Frankfurt, auf Rang vier und fünf Punkte zurückliegend, ein Bayern-Jäger? Damit die Hessen Meister werden, müsste vielleicht nicht Ostern und Weihnachten auf einen Tag fallen, aber doch sehr vieles passend gemacht werden, was normalerweise nicht passt. Damit ist nicht zu rechnen. Der Eintracht ist zumindest ein bisschen was zuzutrauen, sie ist unberechenbar, hat enorme Wucht und Offensivpotenzial im Überschuss. Das Vertrackte: Sie bringt es momentan nicht auf dem Platz. Punktemäßig sind die Frankfurter ordentlich aus der Winterpause gekommen, 3:0 gegen Schalke, 1:1 in Freiburg. Doch die Leistung ist bedenklich. Andererseits ist es ein Qualitätsmerkmal: schlecht spielen und trotzdem punkten. Auf Dauer wird das indes nicht gutgehen.
Und sonst so? Der VfL Wolfsburg auf sieben hat zwar einen furiosen Lauf, sechs Siege in Serie, 22 Tore geschossen, nur eins kassiert. Das ist eine Ansage. Wird aber nicht reichen, um ganz vorne einzugreifen. Dazu dürfte sich das Kovac-Team nach kapitalem Fehlstart quasi gar keinen Ausrutscher mehr erlauben.
Der SC Freiburg? Bei den Breisgauern ist gefühlt (fast) alles drin: Dass Christian Streich bis 86 Trainer ist, dass sie 17-jährige Talente für 100 Millionen auf die Insel verscherbeln, auch die Europa League und die Champions League, vielleicht sogar ein Abstieg (samt dazugehörigem Wiederaufstieg natürlich), aber die Meisterschaft? Äh, nö.
Borussia Dortmund also? Wahrscheinlich wird der BVB erst wieder Meister, wenn Jürgen Klopp zurückkommt. Nein, Dortmund ist Dortmund, immer irgendwie dabei, aber nie mehr ganz oben. In den letzten fünf Jahren waren die Westfalen dreimal Zweiter. Wenn sie das in dieser Saison schaffen, können sie gottfroh sein.
Union Berlin vielleicht? Wundersam, dass die Eisernen überhaupt auf Rang zwei stehen. Sie machen, keine Frage, vieles richtig, die Köpenicker, haben einen tollen Trainer und ein fähiges Management, mit klugen Transfers haben sie den Verein auf die nächste Stufe gehoben – und Lichtjahre vor der gepuderten, aber bemitleidenswerten alten Dame Hertha platziert. Aber, sorry, der Titel ist für Unions No-Name-Truppe nicht drin.
Bleibt, puh, RB Leipzig. Die Sachsen sind, so leid es einem tun kann, der logischste Bayern-Verfolger. Die Bullen haben unter Marco Rose einen fulminanten Zwischenspurt hingelegt, sind seit zehn Partien unbesiegt, haben davon sieben gewonnen, sie haben einen sündhaft teuren Kader, der dadurch höchsten Ansprüchen genügt. Mit RB Leipzig wird zu rechnen sein bei der Titel-Hatz, die Ostdeutschen sind, ob man das gut findet oder nicht und sich dann vielleicht doch gar die Bayern zum Elften wünscht, ernsthafte Konkurrenten.
Das letzte Mal übrigens, dass die Münchner nicht die Schüssel in Empfang nehmen durften, 2012 war der BVB so frei, da spielte RB Leipzig noch in der vierten Spielklasse, Regionalliga Nord, Platz drei. So sieht es aus.