Münchner Weltuntergang

Der FC Bayern hat sich vom Vorzeigeverein zum Problemfall entwickelt - und jeglichen Anspruch auf einen Titel verwirkt.
Es war natürlich ein schöner Plan, den die Stadt München kürzlich kommuniziert hatte: Am Pfingstsonntag wollte man die Frauen und Männer des FC Bayern auf den Rathausbalkon bitten, um den Gewinn der Deutschen Meisterschaft gemeinsam auf dem Marienplatz zu feiern. 2015 hatte es das einzige Male eine solche Sause gegeben, die als „gemischtes Double“ durchaus Anklang fand. Melanie Behringer und Mitspielerinnen waren damals eigens aus dem WM-Trainingslager mit dem Hubschrauber gekommen, um mit Philipp Lahm und seinen Kollegen die gewonnene Schale der johlenden Menge zu zeigen. In Lederhose und Dirndl, wie es sich eben in Bayern gehört.
Es gehört wohl zum aus Münchner Sicht grandios vermasselten Wochenende, dass keines der beiden Teams sich am vorletzten Spieltag die Schale geschnappt hat. Gut, die Frauen haben nach einem Remis bei Bayer Leverkusen (0:0) ihren Titelgewinn nur um eine Woche vertagt, denn gegen den Absteiger Turbine Potsdam wird kommenden Sonntag garantiert nichts mehr schiefgehen, zumal schon ein Unentschieden genügt. Bei den Männern ist die Lage ungleich Besorgnis erregender, wenn nicht sogar bestürzend. Die Heimpleite gegen RB Leipzig (1:3) trug Grundzüge einer Lehrstunde in sich, weil alle Komponenten in dieser Niederlage enthalten waren, die allen Bayern-Fans riesige Fragezeichen auf die Stirn hämmern.
Was ist bloß aus dieser Mannschaft und diesem Verein geworden, der seit der Trennung von Julian Nagelsmann die Titeloptionen achtlos wegwirft wie andere im Englischen Garten ihren Kaugummi. Nach dem DFB-Pokal und der Champions League zerbröselt auch die scheinbar zementierte Führungsposition in der Bundesliga. „Mia san Mia“ auf den Hemdkragen des neuen Heimtrikots zu drucken, ist eigentlich ein Hohn.
Ungewisser denn je, ob Oliver Kahn bald noch diesem Klub vorstehen kann, für den die Torwart-Ikone mal das „Weiter, immer weiter“ erfand. Der Vorstandsvorsitzende sah die nächste Horrorshow seiner hochbezahlten Stars, die wie so oft glaubten, sie müssten nur das Nötigste tun – und damit nach einer überlegenen ersten Hälfte und dem Führungstor von Serge Gnabry (25.) Schiffbruch erlitten.
„Mein Glaube ist immer da“, versicherte Kahn zwar und konstatierte: „Ich werde den Teufel tun und irgendwas abschenken.“ Doch der Rekordmeister hat gefühlt jeglichen Anspruch auf die Schale mit solchen Leistungen verspielt. „Ich bin wirklich tief enttäuscht, dass wir diese Riesenchance weggegeben haben und jetzt von anderen Ergebnissen abhängig sind“, sagte der Klubboss betroffen.
Nach dem Schlusspfiff blickte der 53-Jährige schockiert von der Vip-Tribüne auf den Rasen – wohl ahnend, dass seine Zeit als Boss zu Ende geht. Die Stadionregie spielte „I don’t want to miss a thing“ aus dem Streifen Armageddon – für Kahn und seine Bayern fühlte es sich auch an wie ein Weltuntergang.
Nicht zu vergessen: Nicht Kahn hat diesen Kader zusammengestellt, sondern Sportvorstand Hasan Salihamidzic, der nur noch als Meister bayrischen Blendwerks taugt. Mittendrin wirkte Thomas Tuchel völlig verloren. Der Trainer verfolgte die Schlussphase resigniert auf der Bank. „Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll“, schimpfte der 49-Jährige. Sein Rundumschlag hatte es in sich. „Wenn du in New York über die Straße gehst, ist das was anderes, als wenn du hier in Bogenhausen über die Straße gehst.“ Sätze wie Peitschenhiebe, die ein schlimmes Bild zeichneten: Ein Bubi aus dem Münchner Nobelviertel lässt sich in der Bronx verprügeln. Aussagen, mit denen sich ein Coach in der Kabine keine neuen Freunde macht.
Ansonsten bemühte Tuchel ähnliche Sätze wie nach der Bruchlandung beim FSV Mainz 05 (1:3), wo sich die Bayern schon mal in trügerischer Sicherheit wähnten. Achtmal verspielten sie nun bereits in der Liga eine Führung - das weist auf mentale Defizite einer Mannschaft hin, der die Hierarchien fehlen. Als Anker taugt auch nicht Joshua Kimmich, der nach dem Drama minutenlang wie versteinert vor der Südkurve verharrte, von einem „Spiegelbild unserer Saison“ sprach.
Sinnbildlich der Ausgleich (65.) durch den künftigen Münchner und besten Leipziger Konrad Laimer nach einer Bayern-Ecke. Der Rest des Zusammenbruchs ist schnell erzählt: Benjamin Pavard und Noussair Mazraoui verschuldeten töricht jene Elfmeter, die Christopher Nkunku (76.) und Dominik Szoboszlai (86.) zum ersten Auswärtssieg der Sachsen nutzten. Danach verließen Abertausende Bayern-Anhänger fluchtartig die Arena. Es sieht so aus, als würde kommenden Sonntag Luftlinie wenige Kilometer weiter auf dem Campus nur ein Titel in der Frauen-Bundesliga gefeiert. Als Trost taugt das beim FC Bayern nicht wirklich. mit sid