Das Pulverfass Borussia Mönchengladbach

Die Wortführer der Fans stören sich am Farke-Fußball und an der Graue-Maus-Rhetorik, Trainer und Manager wehren sich. Vor dem Spiel gegen Bayern München ist die Stimmung bei den Fohlen extrem gereizt.
Das vielgelesene Fußballportal gladbachlive.de beschreibt die Stimmungslage rund um den Herzensklub Borussia Mönchengladbach vor dem Retro-Klassiker gegen Bayern München als dramatisch: „Die Lunte zum Pulverfass ist gelegt! Die Stimmung im Borussia-Park droht vollends wieder zu kippen.“ Die Zündschnur der Wortführer der Fohlen-Fans ist nach einem 0:0 gegen Schalke 04 und einem 1:4 gegen Hertha BSC auf ein Minimum gestutzt. Das meinungsfreudige Fanprojekt sah sich genötigt, sich mal wieder in der gebotenen ätzenden Tonalität öffentlich zu Wort zu melden. „Wir spielen die Minute 45 bis 60 in aller Regelmäßigkeit, als hätte es in der Kabine Hagebuttentee eimerweise gegeben.“ Dem beißenden Spott folgt Fundamentalkritik: „Wir spielen den langweiligsten, harmlosesten und ideenärmsten Fußball der ganzen Liga.“
Das klingt vor der Begegnung am Samstag (15.30 Uhr/Sky) gegen den Tabellenführer in der Tat dramatisch. Wahr ist aber auch: Die Gladbacher haben auch schon mal gewonnen und sich aktuell zwischen Leverkusen, Bremen und Köln auf Platz zehn eingeordnet, stecken also nicht im Keller fest wie noch in der vergangenen Spielzeit, die am Ende die Trennung von Trainer Adi Hütter unausweichlich machte. Und die von einer beispiellosen Krisenstimmung im Verhältnis zur kritischen Anhängerschaft begleitet wurde, deren Anspruch erst an der Treppenstufe der Champions League befriedigt ist.
Die eigenen Ultras probierten seinerzeit (nach einer Niederlage gegen den Erzrivalen aus Köln), die Kabine zu stürmen, sie hissten außerdem böse Banner hinterm Tor: „Kampflos, willenlos, charakterlos – hoffentlich werden wir die Söldner unter euch bald los!“
Unter der Führung des neuen Trainers Daniel Farke, gestählt bei Norwich City im Abstiegskampf der Premier League, wollten Team und Anhang sich eigentlich wieder stabil näherkommen. Doch was vielversprechend mit einem versöhnlichen Fanmarsch vorm ersten Heimspiel losging, hat inzwischen Schleifspuren hinterlassen. Farke und der als Nachfolger von Max Eberl aus der Nachwuchsarbeit zum Sport-Geschäftsführer beförderte Roland Virkus kämpfen mit wachsender Verzweiflung gegen eine Erwartungshaltung, der sie glauben, nicht gerecht werden zu können.
Die Pressekonferenz vor dem Bayern-Spiel dauerte deshalb fast eine geschlagene Stunde lang, es gab eine Menge kritischer Nachfragen, und es fielen Sätze, die die Fanseele erst recht in Wallung brachte. „Graue Maus gefällt mir momentan ganz gut“, sagte Farke zum Beispiel. Und der Chefcoach erläuterte wortreich, dass die Mannschaft aktuell zwei Plätze und vier Punkte besser dasteht als vor einem Jahr, obwohl Denis Zakaria, Breel Embolo, Matthias Ginter und Yann Sommer nicht mehr da sind. „Warum sollen wir als Team besser performen als letztes Jahr? Finden Sie den Kader aktuell besser aufgestellt?“ Findet Farke nicht: „Europa League oder Champions League sind für uns komplett unrealistisch.“ Und er fügte wissend hinzu: „Wir werden es mit dieser Mannschaft nicht hinkriegen, dass wir Gras fressen und die Gegner in Grund und Boden laufen.“
Das ist auch nicht die Art Fußball, die der nach der bleiernen Hütter-Zeit freudig empfangene 46-Jährige spielen lassen will. Farke setzte schon in Norwich konsequent auf Kurzpassspiel und erwarb sich so unter anderem den Respekt von Pep Guardiola. Was ihm am Niederrhein allerdings wenig hilft. Das Fanbündnis interpretiert die Argumentation jedenfalls verständnislos: „Dieses totale Understatement ohne Ziel ist zum Abtöten von Begeisterung auf dem Platz und auf den Rängen.“ Sekundiert werden die Anhänger:innen von einer zürnenden „Bild“-Redaktion, die Farke und Virkus „Kapitulation im Kampf ums internationale Geschäft“ vorwirft. Unter anderem wird ihnen vorgerechnet, dass sie noch immer einen Kaderwert beisammen haben, der für Rang sechs reichen müsste.
Das Dumme ist nur: Es drohen weitere Verluste, und zwar solche, die im Gegenzug keine Ablösesummen einbringen. Sowohl der gerade formschwache französische Vizeweltmeister Marcus Thuram als auch der algerische Linksverteidiger Ramy Bensebaini werden vom armen Virkus nicht zu halten sein. „Wir sorgen uns doch alle. Ich auch“, sagt der 56-Jährige. „Sie können aber sicher sein, dass wir alles dafür tun werden, damit dieser Klub wieder in die richtige Richtung kommt.“ Da spürt einer die Skepsis, die ihm und Farke inzwischen so vehement begegnet. Und man merkt beiden an, dass sie sich dabei nicht fair behandelt fühlen. „Wir wollen den Verein wieder so aufbauen, dass er wieder für ganz andere Zeilen in Frage kommt“, sagt Farke, „wenn man schaut, wo wir herkommen, ist es wichtig, ein stabiles Basisjahr hinzulegen.“
Die neuen Verantwortlichen kämpfen gegen die Schatten und die Erfolge der Vergangenheit gleichzeitig. Als ein Reporter dem Trainer vorhält, im aktuellen Team stünden noch immer neun Profis, die beim glorreichen 6:0-Sieg in der Champions League in Donezk vor drei Jahren dabei waren, hält er tapfer dagegen: „Vor drei Jahren, das ist Märchenstunde. Das ist anno dazumal. Da war Cristiano Ronaldo noch der beste Spieler der Welt, jetzt spielt er in Saudi-Arabien.“ Seitdem seien auch Männer wie Lars Stindl (34), Patrick Hermann (32), Tony Jantschke (32) und Alassane Plea (29) drei Jahre älter geworden. Der Umbruch ist unausweichlich; die Kassenlage angespannt. Es ist eine Mammutaufgabe. Verdammt kompliziert. Kriegen Farke und Virkus das hin?
Die Wortführer der Fans stören sich am Farke-Fußball und an der Graue-Maus-Rhetorik, Trainer und Manager wehren sich. Vor dem Spiel gegen Bayern München ist die Stimmung bei den Fohlen extrem gereizt.