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Mitten ins Herz der Bayern

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Von: Thomas Kilchenstein, Manuel Bonke, Hanna Raif

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Konsterniert: Bayern-Trainer Thomas Tuchel.
Konsterniert: Bayern-Trainer Thomas Tuchel. © Peter Kneffel/dpa

Das überraschende Pokal-Aus gegen den SC Freiburg zeigt, dass die Probleme des FC Bayern München tiefer liegen.

Irgendwo musste es doch sein, dieses verdammte Loch, in das er sich hätte verkriechen können, nur weg von diesem Platz, unsichtbar werden. Er suchte und suchte und fand nur einen älteren, grauhaarigen Mann. Christian Streich wollte Trost spenden, er hat es gut gemeint, wollte Jamal Musiala vielleicht in den Arm nehmen. Komm, Bub, Kopf hoch, es gibt Schlimmeres, du hast noch alles vor dir in deiner Karriere. Aber Jamal Musiala wollte nichts hören, er drehte sich weg, zeigte Streich die kalte Schulter, ließ den 57-Jährigen einfach stehen. So wie man einen dummen Jungen stehen lässt. Streich hat das nicht gefallen, ein paar Worte hat er dem 20 Jahre alten Bayern-Spieler hinterher gerufen.

Jamal Musiala ist ganz sicher ein sehr begnadeter Fußballer. Aber er ein paar Dinge muss er schon noch lernen, etwa: Wie man mit Anstand verliert. Tags darauf meldete der Junior sich immerhin reumütig via Instagram und versprach Streich beim Bundesligaspiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) in Freiburg sein Trikot. 

Gerade, wenn eine Niederlage, wie jenes Viertelfinal-Aus am Dienstagabend, bitter und schmerzlich ist und wegen seines ziemlich unbedarften, komplett unnötigen Handspiels überhaupt erst Realität wurde: In der Nachspielzeit schien Musiala in bester Torwartmanier einen Schuss des Freiburgers Nicolas Höfler abwehren zu wollen, klar, dass es Elfmeter gab, der zum sensationellen und „nie, nie. nie“ (Streich) für möglich gehaltenen 2:1-Erfolg des SC Freiburgs führte. „Das darfst du einfach nicht machen. Heutzutage darfst du so nicht mehr reinspringen. Du nimmst da ein wahnsinniges Risiko“, deckelte hinterher Trainer Thomas Tuchel, der trotz alledem bald zwei Stunden nach dem Schlusspfiff tat, was Fans wollten und um 0.33 Uhr noch Autogramme schrieb. Der 57-Jährige, der sich seine Anfangszeit bei den Bayern sicherlich einfacher vorgestellt haben dürfte, musste schon in seinem zweiten Spiel den ersten (von drei möglichen) Titel aufgeben. „Das wird uns eine Weile beschäftigen“, sagte Tuchel nach dem Last-Minute-K.o. gegen den Underdog aus dem Breisgau, der die Bayern im 24. Anlauf das erste Mal in München bezwungen hatten. Obwohl er die Basecap tief ins Gesicht und den Schal bis unter die Nase gezogen hatte, behielt er an diesem „bitteren Abend“ halbwegs die Fassung. „Wir müssen das verdauen und unsere Lehren daraus ziehen.“

Der erste Rückschlag unter Tuchel war für alle Beteiligten allerdings schwer zu greifen. Irgendwo zwischen Wut, Enttäuschung und Ratlosigkeit pendelte sich die Gemütslage in der Kabine ein, die etwa Leroy Sané wutschnaubend mit den Worten „Was für eine Riesen-Sch....“ erreicht hatte. Früh, viel zu früh musste man sich von dem Ziel Triple verabschieden, mit dem Tuchel in München angetreten war. Thomas Müller sprach von einem „Nackenschlag, wo einem etwas weggenommen wird“. Zumal das Pokalfinale zum dritten Mal in Folge ohne den 20-maligen Sieger stattfinden wird.

Statt Titelkampf heißt es im Pokal Titelkrampf. Trotzdem reagierte Hasan Salihamidzic mit einem lauten „Quatsch!“ auf die Frage, ob er sauer auf die Mannschaft sei. Auch der Sportvorstand suchte nach den Ursachen der Niederlage, die mit dem Handelfmeter durch Lucas Höler in letzter Sekunde (90.+5) besiegelt worden war. Trotzdem wirkte er nicht halb so angefressen wie nach einigen Liga-Auftritten zuletzt unter Ex-Coach Julian Nagelsmann. „Wir sind niedergeschlagen und enttäuscht“, sagte er, stellte aber klar: „Das hat nichts mit dem Trainer zu tun.“ Vielmehr ist der Verein weiter auf der Suche nach sich selbst – und dem „Wer san mia?“

Am deutlichsten wurde Joshua Kimmich, der ins Grundsätzliche ging. Der Mittelfeldboss sprach von „einem Tick zu wenig Leidenschaft und Emotion“, er schäumte förmlich, sagte, er habe „viel mit mir selbst zu kämpfen, dass ich nicht komplett durchdrehe und die Fassung verlieren. Das kotzt mich brutal an, je mehr Titel wir verspielen! Wir scheiden aus, obwohl es heute nicht nötig gewesen wäre.“

Irgendwo ist den Bayern in den ganzen Mir-san-Mir-Pseudodiskussionen die Siegermentalität abhanden gekommen. Tuchel fehlt die Fähigkeit, „Wucht und Gier gemeinschaftlich zu entwickeln“, 75 000 Zuschauende warteten über weite Strecken vergeblich auf Spielwitz, Passschärfe und abgestimmte Angriffe. Und wenn ein Gegner dann „aus keiner Chance zwei Tore macht“ (Leon Goretzka), geht’s halt schnell. Genau sieben Minuten lagen die Bayern nach dem umstrittenen Treffer von Dayot Upamecano (20.) nur in Führung.

Interessanterweise treffen die Bayern am Samstag (15.30 Uhr, Sky) erneut auf den SC Freiburg. Angesichts des engen Titel-Rennens darf sich das Tuchel-Team keinen Ausrutscher leisten. Das gilt auch für kommenden Dienstag im Viertelfinal-Hinspiel in der Champions League bei Manchester City. Um gegen die Mannschaft von Pep Guardiola nicht unter die Räder zu kommen, muss das Münchner Star-Ensemble ein anderes Gesicht zeigen. Oder Kimmich zuhören: „Wir müssen diese Wut, Säuernis, Leidenschaft und Wille wieder auf dem Platz umsetzen – das muss jetzt das Ziel sein. Dass wir wieder emotionaler spielen.“

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