Merle Frohms hat eine „brutale Entwicklung“ genommen

Im EM-Viertelfinale zwischen Deutschland und Österreich duellieren sich die introvertierte Merle Frohms und die extrovertierte Manuela Zinsberger.
Auch über den Großraum London hat sich die Sommerhitze wie eine riesige Dunstglocke gelegt. Vor dem Viertelfinale der Frauen-EM 2022 zwischen den Fußballerinnen aus Deutschland und Österreich in Brentford am Donnerstag (21 Uhr/ARD) sind zwar die gewässerten Trainingsplätze sattgrün, auf dem sich auch die Torhüterinnen Merle Frohms und Manuela Zinsberger vorbereiten, aber die meisten Grünflächen drumherum sind längst verdorrt. Einen Vorteil hat die eine gegenüber der anderen: Im vom Austria-Team bezogenen Pennyhill Park nahe der Ortschaft Bagshot weit weg vom Stadtzentrum stehen im Gegensatz zu dem vom DFB-Team genutzten Gelände des Grashoppers Rugby Football Club nahe Brentford viele Schatten spendende Bäume. Und gleich am Platzrand zwei Eisbäder.
Österreichs Nummer eins ist nach der Vormittagseinheit am Dienstag als Erste hineingestiegen. Mit einem breiten Grinsen. Sodann nahm sie seelenruhig ihr Handy in die Hand und tippte fast eine halbe Stunde drauf herum. Auch so kann Spielvorbereitung aussehen. Die 26-jährige Zinsberger hat besonderen Bezug zum Nachbarschaftsduell, schließlich hat sie vor ihrem Wechsel 2019 zu Arsenal WFC fünf Jahre für den FC Bayern gespielt: „Deutschland hat eine unglaubliche Performance abgeliefert in den Gruppenspielen, das hat mich gefreut – nichtsdestotrotz werde ich mich im Viertelfinale nicht für sie freuen.“
Deutschlands Nummer eins, Merle Frohms, hatte am freien Tag dem DFB-eigenen Medienteam ein Interview gegeben, in dem sie ihrer Freude über ein aus ihrer Sicht fast perfektes Turnier ohne Gegentor Ausdruck verlieh. „Das hatte ich mir vorher nicht so schön ausgemalt, aber das ist ein gutes Gefühl“, sagt die 27-Jährige. So ähnlich die Grundhaltung zweier der bislang besten EM-Torhüterinnen, so grundverschieden die Typen. Die Kontraste im Kasten könnten größer kaum sein.
Hier die eher robuste und sehr präsente Zinsberger, die schon 82 Einsätze im ÖFB-Dress vorweisen kann und seit langem Führungsfigur ist. Dort die feingliedrige, extrem sprungstarke Frohms, die erst 30 Länderspiele gemacht hat und endlich Stammkraft ist. DFB-Kapitänin Alexandra Popp spricht bei ihr von einer „brutalen Entwicklung“ im vergangenen Jahrzehnt, schließlich kennt sie Frohms aus deren Anfangszeiten beim VfL Wolfsburg, wohin sie jetzt zurückkehrt: „Sie hatte es immer echt schwer, weil sie eine Almuth Schult vor sich hatte. Aber mit dem Fuß war sie schon immer extrem stark.“
Michael Fuchs, der seit 2007 mit kurzer Unterbrechung die deutschen Torhüterinnen trainiert, sieht nach einem „tollen Einstieg ins Turnier“ den Beleg erbracht, dass jede Spielerin auch mit 24, 25 noch besser werden kann. „Merle hat sich technisch, taktisch und persönlich deutlich weiterentwickelt.“ Das war nicht immer so, weiß der 52-Jährige: „Sie hatte Probleme im Positionsmanagement, war bei hohen Bällen nicht so sicher.“
Der entscheidende Schub erfolgt vor zwei Jahren mit dem Wechsel von Freiburg nach Frankfurt, wo Frohms fast täglich mit Torwartcoach Marcel Schulz an Details von der Zielverteidigung bis zur Fausttechnik feilte. „Heute hat sie viel mehr Werkzeuge, ist viel mutiger bei Flanken, sicherer im Raum.“ Über Zinsbergers Stärken will der im Juni zu den Nations-League-Spielen bei der Männer-Nationalmannschaft arbeitende Torwartexperte gar nicht so viel sagen, nur das: „Sie ist eine charismatische Persönlichkeit, die über ihre Emotionen kommt.“ Ganze zwei Gegentore in acht EM-Spielen 2017 und 2022 sprechen für sich.
Genau wie die aus Niedersachsen (Celle) stammende Frohms vermittelt auch die aus Niederösterreich (Stockerau) kommende Zinsberger ihren Vorderleuten viel Sicherheit. Jede auf ihre eigene Art. Frohms ist zwar lauter geworden, tritt aber abseits des Platzes bis heute zurückhaltend auf, auch wenn sie vor der Kamera längst nicht mehr so schüchtern rüberkommt wie früher.
Aber sie kontrolliert, wie sie kommuniziert; lieber einen Satz zu wenig als einen zu viel. Ihre eher introvertierte Art zählt zu ihrer Persönlichkeit. Ihr gesamtes Auftreten ist weniger robust, als erst Silke Rottenberg und dann Nadine Angerer früher WM- und EM-Titel festhielten und weltweit die Keeperrolle im Frauenfußball prägten.
Ihnen kommt Zinsberger näher, die nach einem Match meist voll unter Adrenalin steht. Sie ist die erste Partymaus, die mit Musikbox durch die Katakomben tanzt. „Das sind wir. Mir ist komplett egal, was andere über uns denken. Das ist aber nix gegen eine andere Nation.“ Sie sagt, was sie denkt. Die extrovertierte Ader gehört zu ihrer Person. Kann es am Donnerstag an der Kew Bridge ein Spiel der Torhüterinnen geben? Spontane Antwort: „Auf jeden Fall werde ich da sein!“
Weder Frohms gegen Finnland (3:0) noch Zinsberger gegen Norwegen (1:0) sind zuletzt wirklich ernsthaft gefordert worden. Die Deutsche betont nun: „Ich versuche mir nicht bewusst zu machen, dass es quasi um alles oder nichts geht. Ich habe gezeigt, dass ich unter diesem besonderen Druck bestehen kann.“ Die Österreicherin beteuert derweil: „Wenn ich sage, ich bekomme gegen Deutschland nichts zu tun, wäre das niveaulos. Wenn wir so eine Performance abliefern, wird es definitiv nicht einfach für Deutschland.“
Denn auch die rot-weiß-roten Österreicherinnen hätten nach dem Halbfinaleinzug vor fünf Jahren noch Fortschritte gemacht: „Wir haben in der Breite dazugewonnen, wir haben Erfahrung, etwas Frisches und viel Freches.“ Das Eisbad hätte sie ruhig auch noch aufzählen können.
