Massig Turbulenzen beim FC Bayern - Oliver Kahn in der Kritik

Nach dem Champions-League-Aus rückt Bayern-Boss Oliver Kahn in den Fokus der Kritik.
Wenn es ohnehin schon mies bis bescheiden läuft, wenn alle auf dem geschrumpften Riesen rumtrampeln und er gar nicht mehr weiß, wie er diese Verzwergung ertragen soll, dann kommt auch noch eine baumlange Kultfigur aus Norwegen um die Ecke und gießt ein bisschen mehr Öl ins Feuer. In diesem verzwickten Bayern-Fall war es der frühere Frankfurter Stürmer und heutige TV-Experte Jan Aage Fjörtoft, der nach dem abermaligen Ausscheiden der Münchner aus der Königsklasse via Twitter seine Insiderinformationen preisgab. In einer Reihe von Tweets ließ der 56-Jährige unverblümt durchblicken, dass beim taumelnden Großklub weitreichende Veränderungen anstünden. Zuvorderst: Es sei nur „eine Frage der Zeit“, bis Vorstandschef Oliver Kahn seinen Job schon wieder los sein werde. Pardauz.
Herbert Hainer solle dann interimistisch übernehmen, sogar über ein Comeback von Mister Bayern, Uli Hoeneß, sei ihm, Fjörtoft, berichtet worden, ehe dann irgendwann Philipp Lahm den Laden schmeißen soll. Hasan Salihamidzic indes stünde intern nicht zur Debatte (dafür extern umso mehr), weil er ein Günstling der grauen Eminenz (Uli H.) sei. Das ist richtig. Und alles andere? Wird sich weisen.
Fjörtofts Einlassungen, von wem auch immer sie an ihn lanciert wurden, passen ins Bild, das der in Turbulenzen steckende Topklub derzeit abgibt, sie fangen die Stimmungslage an der Säbener Straße gut ein. Die stolzen Bayern stecken in der größten Krise der letzten Jahre. Raus im Pokal (zum zweiten Mal in Serie), raus aus der Champions League (zum dritten Mal hintereinander im Viertelfinale), wackelnd in der Bundesliga. Und viel schlimmer noch: Sie geben insgesamt, als Gesamtkonstrukt, ein trauriges, fast schon klägliches Bild ab.
Irgendetwas scheint zerbrochen, intern, aber auch so ganz allgemein. Die Bayern sind nicht mehr sie selbst. Und das spüren die Menschen außerhalb der Bubble sehr genau. „Ziele dürfen verfehlt werden – Werte des Vereins nicht! Führungspolitik hinterfragen“, stand auf einem großen Plakat, das die Fans in der Schlussphase des Viertefinalrückspiels gegen Manchester City (1:1, in Addition mit dem Hinspiel: 1:4) entrollt hatten. Das Gefühl der Entfremdung ist da, es ist zu greifen, von „Mia-san-Mia“ ist nix geblieben, selbst wenn der Slogan schon immer unsäglich deppert war.
Für Oliver Kahn wird es, so hört man aus München, wohl tatsächlich eng, unter dem einstigen Weltklassetorwart ist seit Amtsantritt 2021 nichts besser geworden, im Gegenteil. Der gigantisch große, aber doch irgendwie familiäre Klub verliert nicht nur viel zu viele Spiele und Trainer, sondern auch die Identität. Kahn und Co. verströmen wenig Wärme, lassen kaum Nähe zu, es geht geschäftsmäßig zu, das Klima ist frostig. Der Vorstandsboss selbst wirkt seltsam distanziert und entrückt mit seiner erzwungenen Beherrschtheit und Gesetztheit.
Zu den Protesten der Fans, zu denen ein weiteres Banner zählte („Brazzo + Kahn: Helden von einst, Pfeifen von heute“), sagte er nur: „Ich weiß, wie das hier ist, wenn Ziele nicht erreicht werden. Ich bin ein sehr reflektierender Mensch. Nur im Moment habe ich wenig Zeit, darüber nachzudenken.“ Es gelte, die letzte Titelchance nicht auch zu verspielen. Die Meisterschaft ist Pflicht, mehr als das, sie ist alternativlos.
Sollten die Münchner nach DFB-Pokal und Champions League auch in der Liga leer ausgehen, hätte das sicherlich fatale Folgen. Es würde ein selten erlebtes Bayern-Beben einsetzen, das viele Führungsfiguren hinfort spülen würde. Kahn wäre dann sicher nicht mehr zu halten, aber auch Salihamidzic nicht, der in der Öffentlichkeit höchst ungelenk daherkommende Sportvorstand. „Brazzo“, das Bürschchen, wird freilich gedeckt von Uli Hoeneß, was nicht unerheblich ist im Bayern-Kosmos. Und die Frage ist ohnehin, wie lange sich Hoeneß, die Macht im Hintergrund, das Treiben noch mit ansieht.
Kurioserweise korrespondiert die Außenwahrnehmung der Bayern so gar nicht mit der Binnensicht. Salihamidzic sagte nach dem Ausscheiden gegen City allen Ernstes, er stehe „natürlich mit breiter Brust da“, was ihm aber auch einfach so rausgerutscht sein kann. Immerhin räumte er ein: „Mit Kritik muss man leben, weil die Ergebnisse weggeblieben sind. Aber ich weiß, was wir für eine Mannschaft haben, was wir für einen Trainer jetzt haben, und wir werden alles dafür tun, dass der Erfolg auch in allen Wettbewerben wieder zurückkehrt.“
Kritik gibt es an der Kaderzusammenstellung, vor allem der Besetzung des Sturms. Längst hat es sich als Kardinalfehler herausgestellt, keinen Nachfolger für Robert Lewandowski geholt zu haben. Salihamidzic weist in diesem Zusammenhang gerne darauf hin, dass der Kader „mit dem Trainer“ penibel genau besprochen worden sei. Damit meint er den alten Trainer Julian Nagelsmann, der gehen musste, als alle drei Titel noch drin waren.
Sein Nachfolger Thomas Tuhcle ist ganz sicher einer der besten Coaches überhaupt, hat aber von sechs Partien nur zwei gewonnen, ist aus zwei Wettbewerben raus. Auch er wirkt unglücklich in seinen Entscheidungen, einen unfitten Spieler wie Choupo Moting in solch einem wichtigen Spiel 70 Minuten auf dem Feld zu belassen, ist eigentümlich. Und hinterher mehrfach zu betonen, dass man zwei richtige gute Spiele gemacht habe, am Spielglück und Chancenwucher gescheitert sei, geht an der Realität vorbei. Genauso wie das Zetern über den schlechten Rasen und Schiedsrichter („Note sechs“). Das sind ein paar Ausreden zu viel. Passt aber auch zum Bayern-Bild im Frühjahr 2023.
