Das Märchen aus der Südsee

Der schwäbische Auswanderer Timo Jankowski will Fidschi zur Fußball-WM führen, dafür klappert er 100 Inseln nach Spielern ab. Die U19 hat sich bereits für eine WM qualifiziert.
Das Bild ruckelt noch ein bisschen, aber dann ist Timo Jankowski zu sehen. „Im Moment ist Zyklon-Saison. Die letzten Wochen hat es viel geregnet, es gibt viel zu tun“, sagt er. Jankowski arbeitet als Technischer Direktor für den Fußballverband auf Fidschi. Und will den Inselstaat zu einer Weltmeisterschaft führen. Aber wie kommt ein Schwabe aus der kleinen Gemeinde Dogern, der zwölf Jahre im professionellen Fußball gearbeitet hat, zu solch einem Projekt in der Südsee?
Bei Timo Jankowski liegt die Leidenschaft in der Familie. Vater Peter war selbst begeisterter Torwart und Fußball--Enthusiast. Auch der Junior verbrachte von klein auf den ganzen Tag auf dem Bolzplatz, kickte in der U17 in der damals höchsten Jugendliga.
Nach dem Abitur zog es Jankowski nach Australien, zum Fußballspielen und entdecken. Durch den Kapitän seiner Mannschaft kam er in Kontakt mit Wynton Rufer (Bundesliga-Legende, 174 Spiele für Werder Bremen), der in Auckland eine Fußballschule leitete. „Ich bin zufällig in die Trainersparte reingerutscht. Ich habe in den Ferien mal reingeschnuppert und es hat mir auf Anhieb Spaß gemacht“, sagt Jankowski.
Doch bei seiner Reise durch Neuseeland fing er sich einen Tropen-Virus ein: „In Vanuatu hat es mich komplett verblasen.“ Ein Jahr lang ausgeknockt, das war es mit der aktiven Karriere als Fußballer. Jankowski studierte nach dem Neuseeland-Abenteuer Betriebswissenschaft und wusste anschließend, was er nicht machen möchte in seinem Leben. Schon im Alter von 24 startete Jankowski mit seinem Trainerschein, arbeitete erst beim Südbadischen Fußballverband und dann beim Deutschen Fußball Bund als Stützpunkttrainer.
Die letzten zehn Jahre verbrachte Jankowski in den unterschiedlichsten Funktionen bei den Grasshoppers Zürich. Jugendtrainer, Co-Trainer bei den Senioren, zuletzt als Ausbildungschef. „Der Verein wurde von chinesischen Investoren übernommen. Ich dachte mir, das ist der richtige Zeitpunkt, um etwas Neues anzufangen.“
Vielleicht war es auch der Fußball auf dem Niveau, von dem Jankowski eine Auszeit brauchte. Die ganzen Interessensgruppen um Eltern und Spielerberater, die oft einen negativen Druck ins Spiel bringen. „In den letzten zwölf Jahren habe ich im professionellen Fußball eine Vielzahl an Trainern erlebt, deren familiäre Situation unter diesem Druck extrem gelitten hat.“ Das sollte ihm, selbst Vater von drei jungen Töchtern, nicht passieren.
Ein neues Projekt mit der Familie also. Ursprünglich sollte es nach Madagaskar gehen. 25 Millionen Einwohner, keine richtige Fußballinfrastruktur und trotzdem schon im Viertelfinale des Afrika-Cups. „Wenn man auf die Fußballweltkarte schaut, ist das vermutlich eines der letzten spannenden Projekte“, sagt Jankowski.
Über ein Jahr hatte er sich mit diesem Projekt schon beschäftigt. Aber dann kam Corona. Und die Situation in Madagaskar, das Land mit dem dritthöchsten Wert im Welthunger-Index, verschlechterte sich noch mal. „Hunderttausende sind vom Hungertod bedroht, es gibt Unruhen. Diesen Schritt wollten wir mit der Familie dann doch nicht machen“, sagt Jankowski.
Ein Freud von ihm machte ihn darauf aufmerksam, dass Fidschi (auf Rang 163 der Fifa--Weltrangliste) einen Technischen Direktor sucht. Es folgten Gespräche mit dem Nationaltrainer. Der 75-jährige Däne Flemming Serritslev, 1992 beim EM-Triumph von „Danish Dynamite“ Co-Trainer, begeisterte Jankowski. Der 37-Jährige wusste sofort: Das passt! Auch der Familienrat gab grünes Licht für das Abenteuer Südsee.
Beim Start seiner Aufgabe auf Fidschi war die Qualifikation für die U20- und U17-Weltmeisterschaft ein Jahr entfernt. Jankowski fragte nach, wie denn der Spielerpool aussehe. „Da wurde nur geschwiegen.“ Es gab einen Schulwettbewerb, aber keinen organisierten Nachwuchsfußball. „Wir haben die ganzen Inseln abgeklappert und auch in den abgelegensten Dörfern Spieler gefunden“, sagt Jankowski. Zudem muss jede Mannschaft in der höchsten Liga zwei U19-Spieler von Anfang an spielen lassen. Als Sponsor wurde McDonalds gewonnen, in der nächsten Saison gibt es erstmals von der U9 bis zur U19 Jugendligen. Das Talent sei überall vorhanden. „Die Grundbegabung, die Koordination sind bei einem Kind von den Fidschi-Inseln im Vergleich zu einem deutschen Kind viel fortgeschrittener“, sagt Jankowski. Was fehlt, ist die Struktur. „Aber man darf es auch nicht überstrukturieren. Was dann passiert, sieht man aktuell ja ganz gut im deutschsprachigen Raum.“
Jankowski ist keiner, der im Anzug in VIP-Räumen rumlungert. Er sei viel unterwegs, dadurch lernt er die Dörfer und die Dorfchefs kennen, Rau heißen sie. Zeigt ein Spieler besonderes Talent, wird der Technische Direktor sofort informiert. Fidschi erstreckt sich auf 300 Inseln, die rund 924 000 Einwohner verteilen sich auf 110 bewohnbare Inseln. Rugby ist hier Volkssport. 2021 gab es im 7er-Rugby bereits die zweite olympische Goldmedaille. „Die füllen hier einfach eine Plastikflasche halb voll mit Wasser und nehmen die als Rugbyball“, erzählt Jankowski: „Wenn du da anhältst und schmeißt denen einen Ball raus, spielt die Hälfte nach zwei Tagen schon Fußball.“
Die ersten Erfolge im Fußball gibt es auch schon. Die U20 hat sich für die Weltmeisterschaft dieses Jahr in Indonesien qualifiziert.
Jankowski erzählt von Fataul, den er auf der Nordinsel Vanua Levu entdeckt hat. „Die Eltern sind ein bisschen krank, er schuftet den ganzen Tag auf der Farm. Fataul ist jetzt bei der U20-WM, es gibt viele von diesen tollen Geschichten.“
Bei Fidschi denken viele an traumhafte Inseln. Aber das ist nur für die Touristen, sagt Jankowski. Er erzählt von Spielern, die mit zehn Familienmitgliedern in Wellblechhütten leben, zum Teil auf dem Boden schlafen. „Sie essen was und wissen nicht, wann es das nächste Mal etwas zum Essen gibt. Den Jungs ist es noch höher anzurechnen, dass sie sich für die U20-WM qualifiziert haben.“
Und Jankowski denkt noch weiter. Ab 2026 bekommt Ozeanien eineinhalb Startplätze für die Fußball-Weltmeisterschaft. Einen fixen und einen Playoff-Platz. „Und wenn es ein Rückspiel gibt und Neuseeland muss auf Fidschi oder den Salomon-Inseln spielen, dann ist alles offen“, sagt Jankowski: „Hier gelten eigene Gesetze.“
Auf den Fidschi-Inseln wird unheimlich physisch und mannorientiert gespielt. Eine weitere große Stärke ist der ruhende Ball, die U20 erzielte auf dem Weg zur WM-Quali fünf Tore nach Standards. „Wir haben so eine Wucht, da brauchst du gar keine großartige Variante. Das ist von klein auf, die gehen wie verrückt in die Bälle rein.“
Ein weiterer Trumpf? Das Barfußspielen! Jankowski berichtet von Jean-Marc Guilou. Ein ehemaliger französischer Nationalspieler, der in der Elfenbeinküste eine Fußballschule aufgebaut und mit seinen Methoden Arsene Wenger inspiriert hat. In seiner Akademie spielen die Kinder bis zum 16. Lebensjahr nur barfuß und jonglieren jeden Tag eine Stunde. Salomon Kalou, Yaya Touré, Emmanuel Eboué, Gervinho ... Sie alle stammen alle aus Guilous Ausbildungszentren. Jankowski empfiehlt den Akademien in Europa, ein bis zwei Mal in der Woche das Barfußspielen fix einzuführen. Für ihn ist das Training dort zu oft nach Schablone, es fehlen die verrückten, die unerwarteten Sachen. Wie sollen sich da kreative Spieler entwickeln?
Er spricht das Champions-League-Finale zwischen Real und Liverpool an. 60 bis 70 Prozent des Kaders sei aus Südamerika und Afrika. Dort würden die Spieler „größtenteils auf der Straße spielen, bis sie 15, 16 sind.“ Und dann kommen die europäischen Akademien, die hunderte Millionen für die technisch versierten Talente hinblättern. „Lass den Spieler einfach einmal barfuß beim Torschuss in den Boden reinhauen, da verbessert sich die Technik automatisch ganz schnell“, sagt Jankowski. Und nicht nur das. Eine Verletzung habe er in seiner Zeit auf den Fidschi-Inseln noch nicht mitbekommen. „Muskelbeschwerden kennen die gar nicht“, sagt Jankowski: „Die klettern hier den Kokosnussbaum hoch, von den Jungs braucht keiner ein Fitnessstudio.“