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Klarer Auftrag an Joshua Kimmich

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Von: Jan Christian Müller

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Mittendrin: Joshua Kimmich spielt beim Training den Ball.
Mittendrin: Joshua Kimmich spielt beim Training den Ball. © dpa

Bei der deutschen Nationalmannschaft hängt viel davon ab, wie sich der Mittelfeldspieler vom FC Bayern in der Zentrale präsentiert. Bundestrainer Hansi Flick fordert eine Steigerung.

DFB-Teamarzt Professor Tim Meyer ist bestens vorbereitet. Die Sonne brennt. Drei Dosen Sonnencreme packt der Doktor am Trainingsplatz in Herzogenaurach aus und platziert sie weit sichtbar auf einem Tisch. Prompt erscheint Joshua Kimmich. Trikot vorbildhaft in der Hose, Gesicht und Arme nun auch vorschriftsmäßig eingerieben zur letzten Übungseinheit vor dem Spiel der Nations League am Samstagabend (20.45 Uhr/RTL) in Bologna gegen Italien.

Um den zuvor über alle Zweifel erhabenen kleinen Rumtreiber mit dem großen Gefühl im rechten Fuß hat es in den vergangenen Wochen und Monaten einige heftige Kontroversen gegeben. Sportliche und außersportliche, die wiederum das Sportliche beeinflussten. Ungeimpft in Quarantäne verpasste Kimmich im Herbst zwei Länderspiele (wegen der Geburt des bereits dritten Kindes zwei weitere im März) und wurde massiv kritisiert. Er räumt inzwischen ein, mit seiner ursprünglichen Weigerung, sich impfen zu lassen, habe er auch seine Mitspieler „im Stich gelassen“. Nun zurück im trauten Kreis der Nationalmannschaft habe er freilich „nicht das Gefühl, dass mich hier jemand krumm anguckt“. Er lächelt ein bisschen schief.

Er kriegt gerade ein bisschen was ab. Kaum war er dann doch geimpft und diese Debatte vorbei, erschien im geachteten Fachblatt „Kicker“ die Titelgeschichte „Wohin mit ihm?“ über den zentralen defensiven Mittelfeldspieler. Die Quintessenz der tief recherchierten Story: Kimmich sei eher ein Achter als ein Sechser. Er brilliere mit Chipbällen in die Spitze, hinterlasse aber allzu oft klaffende Lücken vor der Abwehr - mit teils fatalen Folgen, etwa dem Gegentreffer in der Champions League gegen Villarreal, der zum Viertelfinal-Aus der Bayern führte. Er sei oft „hyperaktiv querfeldein unterwegs und vagabundiert durch die Welten des Irgendwo“, hieß es ungnädig, er habe zudem „Defizite in der Geschwindigkeit wie im direkten defensiven Duell“.

Das ist scharf formuliert. Für Bundestrainer Hansi Flick steht dennoch fest: Kimmich gehört „auf die Sechs“. Bei Vorgänger Joachim Löw hatte der 27-Jährige die EM 2021 noch als rechter Verteidiger bestreiten müssen, Löw bevorzugte das Duo Toni Kroos/Ilkay Gündogan in der Zentrale, das es dort an Wucht in beide Richtungen vermissen ließ. Flick setzt auf Kimmich und Leon Goretzka als Doppel in der Zentrale. Aber reicht das mit Blick auf die Weltmeisterschaft an defensiver Stabilität vor der Viererkette?

Rat an Gnabry

Joshua Kimmich hofft, dass Serge Gnabry seinen Vertrag beim FC Bayern sverlängern wird. „Das ist für mich ein spezielles Thema, ein schwieriges Thema. Serge ist mein bester Freund. Deswegen hoffe ich natürlich aus persönlicher Sicht, dass er bleibt“, sagte Kimmich. Maßgeblich sei für ihn aber, dass Gnabry am Ende „eine Entscheidung trifft, mit der er zufrieden ist“. Dieser wisse, „was er beim FC Bayern hat, wie wichtig es ist, wenn man jeden Tag in eine Gruppe kommt, wo es Spaß macht, Fußball zu spielen. Bei uns hat er auch jedes Jahr die Chance, um alle Titel mitzuspielen.“ sid

Flick sagt, er und sein Trainerteam hätten mit allen Spielern „die Positionen besprochen“. Tatsächlich hat das nicht nur in diesen Tagen in Herzogenaurach stattgefunden, sondern bereits im Vorfeld in Videokonferenzen, bei denen Kleingruppen positionsabhängig geschult wurden. Die Trainer haben gerade Kimmich und Goretzka deutlich gemacht, wie „enorm wichtig“ (Flick) die Sechserposition im Herzen des Spiels ist. „Es geht auch um Klarheit. Der eine muss dort auf den anderen aufpassen“, mahnt der Bundestrainer mit der gebotenen Dringlichkeit an, „wir hoffen, dass wir das auch so sehen werden.“ Er erwarte „von jedem Spieler eine Weiterentwicklung, dazu gehört auch Joshua.“ Das ist freundlich im Ton, aber klar in der Ansage.

Auffällig auch, wie häufig der Bundestrainer Jamal Musiala für dessen Interpretation der Sechserrolle lobt. Wenngleich der junge Bursche - zuletzt in Abwesenheit von Kimmich gegen die Niederlande überragend auf der Sechs - seine Stärken ebenfalls in der Offensive hat. Aber Musiala ist auch ein guter Ballklauer. Womöglich sogar ein besserer als Kimmich?

Kimmich und Goretzka, wenn er denn fit war, haben eine allenfalls durchwachsene Rückrunde für die Bayern gespielt. Deren Chefcoach Julian Nagelsmann hat nicht von ungefähr für diesen Transfersommer „ein, zwei Pressingmaschinen“ angemahnt. Kimmich klingt so, als habe er verstanden. Er habe „als Sechser auch die Verantwortung für die Defensive“. Bei den Bayern hätten sie in der Rückrunde „deutlich zu viele Gegentore bekommen. Da müssen wir uns ganz klar verbessern. Nicht nur ich, sondern auch wir als Mannschaft. Da müssen wir uns alle strecken“.

Das ist geschickt formulierte individuelle Selbstkritik, verwoben mit dem Teamgedanken. Den will Kimmich nun auch in der Nationalmannschaft vorleben, in der er mit 64 Länderspielen längst eine Führungsrolle einnimmt. Die schweren Spiele der Nations League gegen Italien am Samstag und England am Dienstag, Ungarn am 11. Juni und noch einmal Italien am 14. Juni kommen ihm gerade recht: „Ich finde es gut, dass das keine Freundschaftsspiele sind. Es ist wichtig, dass wir uns da ein gutes Gefühl erarbeiten. Da können wir zeigen, was wir können. Und es ist an der Zeit, dass wir das zeigen sollten.“ Das klingt in der Tat sehr zielgerichtet.

Joshua Kimmich, 27, ist jetzt im besten Fußballeralter. Die von ihm angeführte Spielergeneration ist mit dem DFB-Team - anders als mit dem FC Bayern - noch immer verlässlich gescheitert, wenn es drauf ankam: 2016 im Halbfinale der Europameisterschaft gegen Frankreich, 2018 in Russland in der WM-Vorrunde, 2021 in Wembley im EM-Achtelfinale. Die Mannschaft ist mit ausreichende Talent ausgestattet, im November und Dezember bei der WM in Katar mehr zu liefern. Aber sie erscheint noch nicht so stabil, dass Verlass darauf ist. Viel wird von Joshua Kimmich abhängen. Er ist jetzt besonders gefordert.

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