Kein Grund für Enttäuschung

Bundestrainer Hans Flick ist kein Erneuerer: Seine Elf ist zwar personell aufgefrischt, aber in ihrer Statik nahezu identisch: Sie hat Talent, aber nicht genug, um gegen Große zu gewinnen.
Blicken wir gemeinsam zurück auf den Fußballsommer 2021. Die Leistungen und das Abschneiden des DFB-Teams bei der Europameisterschaft bestätigte all diejenigen, die die Ära Joachim Löw lieber schon zum frühen WM-Aus 2018 für beendet erklärt hätten oder spätestens für den 18. November 2020, den Tag nach dem 0:6 der von Löw angeleiteten deutschen Fußball-Nationalmannschaft in Spanien.
Löws Ende als Bundestrainer wurde als Erlösung empfunden. Hansi Flick war für den DFB die logische Nachfolgelösung. Man kannte und schätzte sich ja, Verband und Zeit waren nicht reif für einen Umbruch nach Beispiel jener Umwälzungen unter Jürgen Klinsmann 2004 bis 2006. Andernfalls hätte auch Manager Oliver Bierhoff gehen müssen und einer wie Ralf Rangnick hätte den in seiner Führung im Sommer 2021 paralysierten Verband und das Nationalteam auf links gedreht.
Dafür war Bierhoff als Top-Funktionär ohne amtierenden Verbandschef inmitten von zwei schwer angeschlagenen (und inzwischen komplett entmachteten) Interimspräsidenten zu stark. Deshalb wurde es der rechtschaffene Flick, hochdekoriert dazu mit multiplen Triumphen als Bayerntrainer, die ihm ehrlicherweise so zuvor niemand zugetraut hatte. Flick wurde medial mit weit ausgebreiteten Armen empfangen, fast wie ein Heilsbringer. Denn die letzten Jahre der Ära Löw waren Fans und Presse als bleierne Zeit erschienen, wofür aber sicher nicht nur der Ex-Bundestrainer verantwortlich war, sondern auch die drückende Last der Pandemie.
Richtig ist, dass Flick neuen Schwung entfachte, logisch nach 15 Jahren unter Führung seiner Vorgängers. Richtig ist auch, dass Flick und sein teils runderneuertes Trainerteam intensiver mit Spielern und Klubs kommunizieren, wenn keine Länderspiele stattfinden. Richtig ist zudem, dass sie sich viel öfter in den Stadien sehen lassen, als Löw dies zu tun pflegte.
Richtig ist jedoch ebenso, dass Flick einen ähnlichen Fußball spielen lässt, wie den, den Löw bevorzugte. Es ist der von Löw und Flick ja selber geprägte Ballbesitzfußball mit frühem Pressing, Löw ließ nach schlechten Erfahrungen bei der WM 2018 etwas davon ab und verlor dabei Stringenz und Autorität, Flick hatte das Glück, nach Amtsantritt zunächst auf eine gegnerische Gruppe von Gnomen zu treffen, die seine Mannschaft weitgehend unproblematisch ungnädig zerlegte.
Das wurde Trainer und Team etwas voreilig schon als Heldengeschichte zugeschrieben. Inzwischen wissen wir, dass die von Flick zwar personell aufgefrischte, in ihrer Statik aber nahezu identische Mannschaft (Neuer, Süle, Rüdiger, Kimmich, Goretzka, Gündogan, Müller, Werner, Gnabry, Havertz) gegen größeren Widerstand zwar genug Talent hat, nicht zu verlieren; aber nicht genug, um zu gewinnen. So erklären sich vier 1:1-Unentschieden in Folge gegen die Niederlande, Italien, England und nun in Ungarn. Das ist bei nüchterner Betrachtung gar kein Grund zu Enttäuschung. Sondern ein getreues Abbild der Wirklichkeit. Der sich in Budapest bestätigte: Ohne einen Mittelstürmer von Weltklasseformat besitzt diese Mannschaft nicht die Klasse, um die Widerstandskraft eines überaus respektablen Gegners wie Ungarn aufzuweichen, der mit letzter Hingabe verteidigte und geschwind konterte.
Die Personalie Jonas Hofmann taugt ganz gut als Symbolbild. Der Offensivmann gilt als die positive Entdeckung schlechthin unter Flick. Hofmann ist sicher ein auffälliger Bundesligaspieler. Er ist gut genug, um ein technisch aufwendiges Tor in Ungarn zu schießen und schlecht genug, um bald darauf eine Chance, die sich auf diesem Niveau niemand niemals entgehen lassen darf, kläglich zu vergeben. Er wird nächsten Monat 30. Er ist die Gegenwart des deutschen Fußballs, nicht die Zukunft.