Karim Adeyemi: Und ab die Post

Karim Adeyemi läuft den Zweifeln und einem Weltmeister davon - und Borussia Dortmund hat neue Hoffnung in der Königsklasse,
Es ist diese rasante Mixtur aus Unverfrorenheit, einem Schuss Überheblichkeit, einer gewissen Schlichtheit und der Fähigkeit, sich im entscheidenden Moment „nicht viel durch den Kopf“ gehen zu lassen, die Karim Adeyemi zu diesem jetzt schon epochalen Sprint ansetzen ließ. Dass da vor ihm ein frisch gebackener Weltmeister stand, ein 120 Millionen-Mann aus Argentinien, der es gewohnt ist, die Kärrnerarbeit für Lionel Messi zu verrichten, hat den jungen Stürmer von Borussia Dortmund nicht sonderlich beeindruckt. Er wusste eh: Gut bin ich selber und eigentlich muss es mir nur gelingen, den Ball vorbei zu legen, der Rest kommt dann von selbst, oder wie Trainer Edin Terzic auf englisch lautmalte: „Meep, Meep - and off he goes.“ Und ab die Post.
So wie er es schon immer getan hatte, schon beim FC Forstenried, seinem ersten Klub in München, seiner Geburtsstadt, bei der Spvgg Unterhaching, weniger beim FC Bayern München, dann in Salzburg, jetzt in Dortmund - rennen und einfach nicht einzufangen, dieser Roadrunner, wieselflink, raketenschnell; in dieser Saison hält Adeyemi den Geschwindigkeitsrekord in der Liga. In 36,7 km/h ist er geblitzt worden, schneller war kein Spieler unterwegs. Diesem Tempo ist keiner gewachsen, auch kein Enzo Fernandez vom FC Chelsea, der am Mittwochabend so hilflos, so gar nicht weltmeisterlich, den Hacken des Lockenkopfs hinterherhecheln und dann zusehen musste, wie der den (zu zögerlich aus dem Tor geeilten) Torwart Kepa umspielt und der Ball zum Sieg ins Tor geschoben wurde. Ein Traumtor in 16 Sekunden, nach einem Sprint über 65 Metern und einem Salto ohne mortale.
Jürgen Weckerle hat bestimmt ein Lächeln im Gesicht gehabt, als er dieses Tor im Fernsehen gesehen hat. Kaum einer kennt Karim Adeyemi besser als Weckerle, sein Jugendtrainer beim FC Bayern, E-Jugend, einer der wenigen beim FC Bayern übrigens, auf die Adeyemi, inzwischen 21, noch gut zu sprechen ist. Weckerle habe „mir im offensiven Eins-gegen-Eins alle Freiheiten gelassen und mich nicht kritisiert, wenn eine Aktion daneben ging“, hat Adeyemi immer wieder gesagt. Eins-gegen-Eins, das ist seine herausragende Stärke, das Duell Mann gegen Mann. Weckerle, ein gemütlicher Mann mit Halbglatze, hat deshalb die Eskapaden des jungen Karim ertragen, seine Disziplinlosigkeiten, seine Unbeherrschtheiten, seinen ausgeprägten Egoismus, alles alleine zu versuchen. Weil er sah, was der Junge für eine Qualität hatte, eine Qualität, die Terzic jetzt, nach der Gala im Champions League-Achtelfinale, „eine Waffe“ nannte.
Der Anfang seiner Karriere war schwierig, Adeyemi war eher ein Schlawiner, ein Lausbub mit Flausen im Kopf, deshalb flog er bei den Bayern raus, ging zum Nachbarn, der Spielvereinigung Unterhaching. Was dem jungen Adeyemi damals gefehlt habe, sagte Marc Unterberger, Jugendtrainer in Unterhaching, einst „Sports Illustrated“, sei „die Fähigkeit zu sozialer Bindung. Sich einzufügen in die Mannschaft, zu integrieren, das schaffte er nicht.“ Und den Realschulabschluss schaffte er auch nicht.
Aber er konnte ja kicken, als er 16 war, buhlten unter anderem RB Leipzig, FC Chelsea und Tottenham um das wenig pflegeleichte Talent, er ging dann zu RB Salzburg, verdiente sich seine Sporen im Farmklub beim FC Liefering. In Salzburg erzielte er in 68 Spielen 23 Tore, er wechselte im Sommer des vergangenen Jahres für etwa 30 Millionen Euro zu Borussia Dortmund. Er wurde Nationalspieler, durfte sogar mit zur WM in Katar, schoss bei seinem Debüt 2021 gegen Armenien sogar ein Tor. Das Trikot schenkte er übrigens Manfred Schwabl, dem Präsidenten der Spvgg Unterhaching, ein Mann, der mit harter Hand und viel Verständnis ebenfalls einen gehörigen Anteil daran hatte, dass die Karriere des Karim Adeyemi nicht versandete.
In Dortmund blieb Adeyemi - dessen Vater Abbey aus Nigeria stammt, die Mutter Sandra aus Rumänien - aber lange hinter den Erwartungen zurück, sehr lange war ihm weder ein Tor noch eine Vorlage gelungen, dafür blieb ein patziges Interview in Erinnerung. Nach einem glasklaren Foul von ihm am Frankfurter Jesper Lindström und einem nicht gegebenen Elfmeter antwortete er frech auf die Frage, ob er die Wut von Eintracht Frankfurt verstehen könne, das sei ihm egal, wichtig sei nur, „dass wir gewonnen haben“. Tage später entschuldigte er sich immerhin dafür. „Das BVB-Trikot ist ein Ticken schwerer als in Salzburg“, deckelte Terzic sanft den Hochtalentierten. Eine gewisse Reife scheint der Jungspund inzwischen erreicht zu haben, zumindest auf dem Weg dahin.
„Jetzt ist er endlich angekommen“, findet der BVB-Coach, der dem Stürmer assistieren konnte, in der Wintervorbereitung gut gearbeitet und „ein paar Sachen umgestellt“ zu haben. „Wir hoffen, dass es nicht nur ein Knoten ist, der geplatzt ist.“ Immerhin spielt er in 2023 auf höherem Niveau, zwei Tore sind ihm bereits gelungen, der feine Treffer gegen Chelsea war sein dritter in Folge.
Karim Adeyemi hat für all das eine einfache Erklärung: „Neues Jahr, neues Glück.“ Und womöglich hört der Hallodri inzwischen besser zu. In der Halbzeitpause, erzählt Terzic, habe man dem Angreifer per Video eine Szene gezeigt, in der er sich nicht in eine Eins-gegen-Eins-Situation getraut hatte. Man habe ihm zugeraten, mehr ins Risiko zu gehen. Das hat er dann folgsam getan.