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Julian Nagelsmann: Zu viel Star, zu wenig Trainer

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Von: Ingo Durstewitz

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Trainer Julian Nagelsmann muss den FC Bayern München nach nur 21 Monaten verlassen – er scheiterte beim deutschen Rekordmeister auch an sich selbst.

München – Beben an der Säbener Straße? Tabula rasa in München? Rauswurf des Startrainers? Nagelsmann weg? Tuchel da? Ach was. Auf der Homepage der Bayern läuft die Welt weiter wie zuvor. Die Topmeldung bis weit in den Freitagmittag hinein: „U19-Trio: Demircan, Wimmer und Qashi verlängern Verträge.“ Schöne Sache ist das.

NameJulian Nagelsmann
Alter35 Jahre alt
Stationen als TrainerFC Bayern München, RB Leipzig, TSG Hoffenheim

Julian Nagelsmann: Gesamtpaket von 50 Millionen Euro für den FC Bayern

Es wird gute Gründe geben, dass die Bayern die Trennung von Chefcoach Julian Nagelsmann erst einmal nicht offiziell kommentierten, obwohl die breite Öffentlichkeit schon seit Donnerstagabend im Bilde ist und auch den Namen des Nachfolgers längst kennt: Thomas Tuchel. Sehr wahrscheinlich ging es da um rechtliche Winkelzüge, um Formulierungen und Spitzfindigkeiten. Inzwischen haben die Juristen das Feld übernommen. Schließlich wird die Trennung von Trainertalent Nagelsmann teuer für den Großklub, sündhaft teuer, im Raum steht eine Summe von rund 25 Millionen Euro.

Trainer Julian Nagelsmann (FC Bayern) betritt das Stadion.
Julian Nagelsmann muss den FC Bayern München verlassen. © Torsten Silz/dpa

In ein paar Monaten wäre es günstiger gekommen für die Bayern, weil die Höhe der Entschädigung sich nach Vertragsjahren richtete, also je länger Nagelsmann in der Verantwortung gestanden hätte, desto weniger hätte er bei einer Entlassung kassiert.

So aber schlägt die Sache voll durch: Summiert man zu der Abfindung noch die 25 Millionen Euro Ablöse, die die Münchner 2021 an Leipzig bezahlten, dann ist man bei einem Gesamtpaket von gut 50 Millionen. Dafür bekommt man schon einen Mittelstürmer weit oberhalb des Choupo-Moting-Niveaus. Sei’s drum.

Am Freitagmorgen fuhren die Bayern-Granden auf dem Gelände vor: Vorstandschef Oliver Kahn, Präsident Herbert Hainer und Sportvorstand Hasan Salihamidzic, später stieß der Technische Direktor Marco Neppe zur Elefantenrunde hinzu. Da war die Entscheidung gegen den einst mit viel Tamtam empfangenen Nagelsmann schon an ihn übermittelt. Er sollte eine Epoche prägen. Es wurden 21 Monate.

Kritiker Lewandowski

Der 35-Jährige wurde beim Skifahren im Zillertal überrascht. Aber was heißt überrascht? Nach dem Verlust der Tabellenführung nebst kläglicher Leistung beim 1:2 in Leverkusen spürte der frühere Hoffenheimer, dass es eng werden würde für ihn. Zumal Tuchel auf dem Markt war und er nicht noch einmal durch die Lappen gehen sollte wie 2018. Damals schnappte PSG zu, jetzt buhlte Tottenham um Tuchel.

Vor fünf Jahren wurde in einem Akt der Verzweiflung Niko Kovac als Trainer installiert. Der überforderte Kroate stolperte letztlich darüber, dass die Mannschaft ihm die Gefolgschaft verweigerte. Das war bei Nagelsmann nicht anders. Nicht dass es sein einziges Problem gewesen wäre, aber sein größtes. Der Ex-Leipziger war intern umstritten. Aus der Mannschaft drangen Vorwürfe nach draußen, er rede zu viel, überfrachte die Spieler, könne Inhalte nicht anschaulich vermitteln. Robert Lewandowski, längst in Barcelona, galt früh als schärfster Kritiker. Die Gilde der unzufriedenen Spieler wuchs. Am Ende stand nur noch Nationalspieler Joshua Kimmich treu an seiner Seite.

FC Bayern verlor zehn Punkte auf Borussia Dortmund

Nagelsmann wurde auch sein Auftreten abseits des Trainingsplatzes zum Verhängnis. Sein überbordendes Selbstbewusstsein mit Hang zur Überheblichkeit und Besserwisserei kam nicht gut an, genauso wie seine Extravaganz und sein Geltungsbedürfnis. Er gefiel sich in der Rolle, das Aushängeschild, der Star des Vereins zu sein. Wenn sich aber jemand, gerade der Trainer, zu wichtig nimmt, kommt das meistens in einer Gruppe nicht besonders gut an. Genauso wenig wie seine Beziehung zu einer „Bild“-Reporterin, die über den FC Bayern berichtet hatte. Das sorgte in der Kabine für Irritationen. Auch die Entlassung des beliebten Torwarttrainers Toni Tapalovic, die Nagelsmann proaktiv vorantrieb, löste Kopfschütteln aus.

Und auch die Auftritte auf dem Rasen in diesem Jahr nährten die Zweifel. Zwar setzten sich die Münchner in der Königsklasse gegen Paris Saint-Germain durch, verloren aber in der Liga zehn (!) Punkte auf Borussia Dortmund. Das ist nicht Bayern-like. Das darf sich ein Trainer nicht erlauben. Nicht mal einer der hoffnungsvollsten in Deutschland. (Ingo Durstewitz)

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