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Jürgen Klopp - der Schutzpatron

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Von: Hendrik Buchheister

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Ich will ein Bild von Dir: Ein Fan fotografiert sich und Jürgen Klopp.
Ich will ein Bild von Dir: Ein Fan fotografiert sich und Jürgen Klopp. © AFP

Jürgen Klopp ist längst viel mehr als nur der Trainer des FC Liverpool. Der Deutsche überstrahlt eine ganze Stadt. Und diese Verbindung soll noch lange halten.

Man kann Jürgen Klopp in Liverpool besuchen und ein Foto mit ihm machen. Im Hipster-Viertel Baltic Triangle ist er als Wandgemälde zu sehen, an der Ecke von Jamaica Street und Jordan Street. Er schaut zur Seite und hat den Kopf leicht gehoben. Seine rechte Hand hat er auf sein Herz gelegt. Es ist die typische Klopp-Geste, die Geste, mit der er sich nach den Spielen des FC Liverpool von den Zuschauern verabschiedet. Das Wandgemälde ist zur Attraktionen geworden, seitdem es der Verein Ende 2018 hatte anfertigen lassen. Man trifft an der Ecke von Jamaica Street und Jordan Street Fans des FC Liverpool genau so wie Touristen mit Selfie-Sticks.

Es gehört ein bisschen was dazu, um zur Kultfigur zu werden in Liverpool, der Stadt der Beatles, aber als Trainer des örtlichen LFC sind die Chancen dafür gut. Bei anderen Vereinen hat ein Trainer, etwas verkürzt gesagt, die Aufgabe, die Mannschaft bestmöglich auf das nächste Spiel vorzubereiten. In Liverpool erwarten die Menschen mehr von einem Trainer. Er muss eine Art Schutzpatron der Stadt sein, ein Mann des Volkes, der sich als Diener der Fans begreift und die Überzeugung in sich trägt, dass große Leistungen nur gemeinsam möglich sind. Dieses Anforderungsprofil geht zurück auf Bill Shankly, einen bekennenden Sozialisten, der in den Sechzigern und frühen Siebzigern die Basis für den Weltruhm des FC Liverpool legte. Vor dem Anfield-Stadion, im Schatten der berühmten Kop-Tribüne, steht eine Shankly-Statue.

Auf dem grauen Marmorsockel heißt es in goldenen Buchstaben: „He made the people happy.“ Er hat die Leute glücklich gemacht. An Shankly werden alle Liverpool-Trainer gemessen, und man ist am River Mersey überzeugt, dass Klopp derjenige ist, der ihm am nächsten kommt.

Seit Oktober 2015 arbeitet der Deutsche bei dem Verein und hat ihn seitdem transformiert. Englands einstiger Rekordmeister ist nach langer Dürrephase wieder eine der besten Mannschaften der Welt, holte 2020 zum ersten Mal seit 30 Jahren den Meistertitel in England und kann nun im Finale in Paris gegen Real Madrid (Samstag 21 Uhr/ZDF) zum zweiten Mal in drei Jahren die Champions League gewinnen. Dank Klopp sind die Liverpool-Fans wieder stolz auf ihren Verein. Er hat die Leute glücklich gemacht. Das könnte irgendwann auch auf seiner Statue stehen.

Das Spezielle an der Beziehung zwischen dem Trainer und Liverpool ist, dass er möglicherweise auch ohne Pokale und Trophäen beliebt wäre, einfach deshalb, weil er zu der Stadt und ihren Einwohnern passt. Klopp wird politisch eher links der Mitte verortet, sieht sich als Internationalist und glaubt an die Stärke der Gemeinschaft. Das findet auch Ausdruck in seinem Fußball. Klopp-Fußball ist kein Heldenfußball, sondern Fußball, bei dem die Außenverteidiger genau so wichtig sind wie Mohamed Salah, der Torjäger und größte Star des FC Liverpool.

Wenn man so will, spiegelt Klopps Fußball das Selbstverständnis der Stadt, das durch Gemeinsinn und eine gewisse Widerständigkeit gekennzeichnet ist. Liverpool nimmt im Vereinigten Königreich eine Sonderrolle ein und sieht sich als autonome Zelle, die mit dem Rest des Landes nicht viel zu tun hat und das Londoner Establishment verachtet. Es war keine Überraschung, dass die Fans des Klubs kürzlich beim Finale des FA-Cups (Sieg im Elfmeterschießen gegen den FC Chelsea) die Nationalhymne ausbuhten. Genau so erwartbar war die Empörung der konservativen Boulevardpresse und von Premierminister Boris Johnson darüber.

Die Mächtigen zu ärgern, gehört zur Identität in Liverpool. Es kam deshalb gut an, dass Jürgen Klopp die Uefa kürzlich dafür kritisierte, dass sie Sponsoren und Vip’s mehr Karten für das Champions-League-Finale zugeteilt hat als jeweils den Fans von Real Madrid und Liverpool. Der Trainer hat verinnerlicht, was der LFC bedeutet. Der 54-Jährige weiß, dass der Verein größer ist als er selbst. Als Klopp gerade seinen Vertrag bis 2026 verlängerte, ließ er sich auf der Klub-Homepage so zitieren: „Es gibt so viele Wörter, mit denen ich beschreiben könnte, wie ich mich wegen dieser Nachricht fühle… – erfreut, demütig, gesegnet, privilegiert und aufgeregt könnten ein Anfang sein.“

Er hatte gute Gründe für die Vertragsverlängerung. Liverpool hat nach dem Ende der zermürbenden Corona-Geisterspiele wieder jene Energie, die den Verein angetrieben hatte beim Gewinn der Champions League 2019 und der Meisterschaft 2020. Die Zukunft des Klubs ist golden, auch wenn Stürmer Sadio Mané sich zum FC Bayern verabschieden sollte, wie aktuell gemutmaßt wird. Sportlich gibt es im Moment keine bessere Heimat für Klopp.

Aber es ist eben auch die Wertschätzung, mit der ihm die Menschen in Liverpool begegnen, die ihn zum Bleiben bewegt hat. Nach seinen Stationen bei Mainz 05 und Borussia Dortmund ist er zum dritten Mal bei einem Verein zur Kultfigur geworden. Nicht nur wegen der sportlichen Erfolge, sondern auch, weil es einfach passt. Klopp macht die Leute in Liverpool glücklich.

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