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Gianni Infantino - der schwer in sich selbst Verliebte

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Von: Frank Hellmann, Jan Christian Müller

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Der Strippenzieger: Gianni Infantino. Foto: AFP
Der Strippenzieher: Gianni Infantino. Foto: AFP © afp

Fifa-Präsident Gianni Infantino hat das System seines Walliser Nachbarn und Vorgängers Sepp Blatter mit bemerkenswerter Skrupellosigkeit perfektioniert. Jetzt wurde er erwartungsgemäß wiedergewählt.

Es war zwar nur ein Gegenwind der Stärke 3, aber immerhin: Nach Norwegen und Schweden hat auch der Deutsche Fußball-Bund dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino bei dessen Wiederwahl beim Fifa-Kongress am Donnerstag in Ruandas Hauptstadt Kigali die Gefolgschaft verweigert. „Der DFB wird die Wiederwahl nicht unterstützen“, begründete DFB-Präsident Bernd Neuendorf im Vorfeld. Der Grund: „Wir haben in den vergangenen Wochen zu verschiedenen Fragestellungen von der Fifa keine oder nur unzureichende Informationen erhalten.“ Die Fifa müsse „deutlich offener und transparenter werden“. Es geht dem DFB unter anderem darum, ob die versprochenen Migration Working Centres in Katar angelegt oder der geforderte Entschädigungsfonds eingerichtet worden sind. Offenbar ist beides nicht der Fall.

Infantino auf offener Bühne den Fehdehandschuh hinzuwerfen, ist ebenso ehrenwert wie wagemutig. Gerade vor dem Hintergrund, dass Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden und Belgien 2027 die Frauen-WM ausrichten möchte. In Katar hatte Infantino den unerfahrenen Rheinländer Neuendorf kalt lächelnd am Gängelband durch die Manege geführt. Die Gefahr besteht nun wieder.

Der Fußball-Weltverband und sein führender Patron sind nicht ohne Gastgeschenke nach Kigali gekommen. Noch bevor die obersten Repräsentant:innen in Ruanda landeten, hatte sich der Geldkoffer geöffnet. 4,7 Millionen Dollar sind bewilligt worden, um dem ruandischen Fußballverband ein brandneues Internat zu spendieren. Fast alle Konföderationen stehen geschlossen hinter dem Schweizer Gianni Infantino, der dieses System aus Geben und Nehmen von seinem Vorgänger Sepp Blatter übernommen und perfektioniert hat. Ironie der Geschichte: Zwischen Visp, wo Blatter vor 87 Jahren aufwuchs, und Brig, wo Infantinos Mutter am Bahnhof einen Kiosk führte, derweil der Vater Schienen für die Staatsbahn verlegte, liegen nur zwölf Autominuten.

Der Mann aus dem Wallis, verheiratet, vier Töchter, ist der Strippenzieher des Weltfußballs. Infantino liebt sich selbst beim großen Auftritt, gern in Anzug und weißen Turnschuhen. Unvergessen, wie er sich vor der WM als wandlungsfähig wie kein Homo sapiens vor ihm beschrieb. „Heute fühle ich mich als Katarer, heute fühle ich mich als Araber, heute fühle ich mich afrikanisch. Heute fühle ich mich homosexuell“, rief der 52-Jährige aus. „Heute fühle ich mich behindert, heute fühle ich mich als Arbeitsmigrant.“ In der Heimat titelte der „Walliser Bote“: „Man muss sich vom Oberwallis aus schämen.“ Bei Infantinos Wahl 2016 hatte das Blatt noch gejubelt: „Wir sind Fifa!“

Der begnadete Schauspieler wurde erneut per zustimmenden Applaus für weitere vier Jahre in seinem Amt bestätigt, um vornehmlich Funktionäre in Staaten mit begrenzter Population an Kickern glücklich zu machen. Bald sollen es 2,3 Millionen Euro sein, die jeder der 211 Verbände - von Aruba bis Vanuatu - jährlich mindestens von der Fifa bekommt.

Inzwischen arbeiten rund 1000 Mitarbeiter in dem gläsernen Palast auf dem Zürichberg, der sich „Home of Fifa“ nennt. Selbst die oberste Managementebene beklagt dort intransparente Entscheidungswege. Heraus kommt dann so etwas wie die Ernennung des wegen schwerer Vorwürfe (u.a. sexuelle Belästigung) zurückgetretenen französischen Verbandschefs Noël Le Graët zum Fifa-Büroleiter in Paris. Installiert über Nacht von Infantino. Ernsthafte Opposition? Pustekuchen!

Mit seiner Dichte an Affären und Intrigen hat Infantino seinen Vorgänger Blatter locker übertroffen: vom Kaltstellen der verbandseigenen Ethikkommission bis hin zu gescheiterten Geheimplänen, fast alle Fifa-Rechte in ein von Saudi-Arabien aus gelenktes Konsortium auszulagern. Unter dem Fifa-Chef ist der Fußball nicht nur globaler, sondern mit verblüffender Skrupellosigkeit noch gieriger geworden.

Infantino studierte Rechtswissenschaften, kam als Berater für verschiedene Fußballorganisationen unter, wurde Generalsekretär des Internationalen Zentrums für Sportstudien (CIES) an der Universität von Neuchâtel und trat 2000 in den Dienst der Uefa.

Intern galt er lange als Gefolgsmann des Uefa-Präsidenten Michel Platini, dem Infantino irgendwann als Generalsekretär in den Rücken fallen sollte. Platini wähnt bis heute einen hinterlistigen Komplott. Infantino bestieg 2016 in der großen Fifa-Krise den Thron. Erst führte er Blatters Wahlperiode zu Ende, jetzt muss seine zweite Wiederwahl gar nicht die letzte sein: Eine Amtszeit bis 2031 hat Infantino sich bereits absegnen lassen, die erste als Nachfolger Blatters zählt der Einfachheit halber nicht. Ein hausinternes Korrektiv ist nicht zu entdecken: Generalsekretärin Fatma Samoura aus dem Senegal ist kaum mehr als eine willfährige Erfüllungsgehilfin.

Infantinos simple Regel: Gekickt wird dort, wo die meiste Kohle fließt. Infantino hat die 200 Milliarden Dollar teure WM in Katar als die „beste aller Zeiten“ verkauft. Schon davor und erst recht danach. Es lief perfekt für ihn und die Ausrichter: die nörgelnden Deutschen und Dänen schnell raus, die noch kritischeren Norweger und Schweden gar nicht erst dabei. Die von Katar alimentierten Pariser Profis Lionel Messi und Kylian Mbappé gegeneinander in einem fulminanten Finale.

2026 verteilen sich dann 48 Mannschaften in den USA, Kanada und Mexiko auf 16 Spielorte. 104 statt 64 Spiele, Gigantismus in Reinkultur. Der Fifa-Präsident hat kein Problem damit, Wladimir Putin, Donald Trump und den mächtigen Scheichs Vorderasiens die Hand zu reichen. Hauptsache, die Staatspräsidenten dienen seinen Interessen - und er deren.

Liebend gerne würde Infantino wohl der Golfregion gleich das nächste Großereignis auf dem goldenen Tablett servieren: Saudi-Arabien möchte (gemeinsam mit Ägypten und Griechenland) die WM 2030 austragen. Die saudischen Herrscher bezahlen, genau wie der katarische Emir, fürs „Sportwashing“ jeden Preis.

Schon die nächste WM soll der Fifa mehr als zehn Milliarden Euro einbringen, für 2030 ist dann gewiss noch mehr rauszuholen. Am liebsten hätte Infantino eine WM im Zweijahresrhythmus ausgerichtet. Er wurde gestoppt und überraschte nun aus der kalten Hose mit einer um 25 Mannschaften aufgestockten 32er Klub-WM ab 2025.

Auffällig oft sucht der Fifa-Boss die Nähe von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman, der gegen missliebige Kritiker:innen schon mal die Todesstrafe vollstreckt oder sie inoffiziell exekutieren lässt. Saudi-Arabiens Tourismusbehörde ist als Sponsor für die Frauen-WM 2023 im Gespräch, Saudi-Arabien darf im Dezember die Klub-WM durchführen, und selbstredend hat erstmals ein saudischer Funktionär einen Platz in Infantinos ergebenem Fifa-Council erhalten, in das der Deutsche Neuendorf am 5. April rücken wird. .

Dass der Fifa-Chef im Vorfeld der Frauen-WM 2023 diplomatischen Austausch mit den Teilnehmerinnen verspricht, um eine Debatte um Kapitänsbinden im Vorfeld zu lösen, dürfte weniger Einsicht als Kalkül geschuldet sein. Denn Infantino weiß: Die Frauen werden in Australien und Neuseeland nicht so schnell einknicken wie die Männer in Katar, als nur die Deutschen Protest wagten - und sich damit in die Isolation verbannten.

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