In Zukunft ohne Neuer

Die Situation ist verfahren: Insoweit macht es wenig Sinn, nach Neuers Genesung einen Dreikampf der Keeper Sommer, Nübel und Neuer auszurufen. Trennung scheint unausweichlich.
Wahrscheinlich niemals zuvor in der bewegten 60-jährigen Geschichte der Fußball-Bundesliga hat es ein derart Aufsehen erregendes Interview gegeben wie jenes von Manuel Neuer, das am Samstag veröffentlicht worden ist. Die Wucht der Aussagen, die seinen Arbeitgeber und seinen Trainer direkt treffen, ist vor allem deshalb so immens, weil es sich bei den Protagonisten um den Kapitän der Nationalmannschaft und um den FC Bayern handelt. Mehr Prominenz geht nicht. Mehr medialer Widerhall geht nicht. Mehr interne Unruhe geht nicht.
Manuel Neuer ist lange genug in der überhitzten Branche tätig, um sehr präzise abschätzen zu können, welche Folgen dieses auch in der Schärfe seiner Rhetorik wohlüberlegte Gespräch haben dürfte. Wäre er nicht die über ein Jahrzehnt hinweg beste Torhüter der Welt, wäre die logische unmittelbare Folge die sofortige Trennung mit zu erwartenden arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen.
Und tatsächlich stellt sich ja die Frage: Welche Basis einer auch nur annähernd vertrauensvollen Zusammenarbeit ist künftig zwischen Neuer und Julian Nagelsmann als Treiber der Trennung vom langjährigen Bayern-Torwarttrainer, Neuers engstem Vertrauten Toni Tapalovic, noch vorhanden? Ehrlicherweise müsste die Antwort lauten: gar keine. Zumal nicht vor dem Hintergrund, dass künftig das brüchige Verhältnis vom Trainer zum Kapitän besonders kleinteilig ausgeleuchtet würde und für alle Beteiligten entsprechende, potenziell leistungsmindernde Stresssymptome nach sich zöge.
Tiefer Graben
Der Graben könnte offenkundig tiefer nicht sein, der Kapitän hat das schonungslos und ohne die bei ihm ansonsten gewohnte Diplomatie in der Wortwahl artikuliert. Neuer wirft dem FC Bayern sehr konkret Respektlosigkeit im Umgang miteinander vor. Das tun anders herum nun auch die Vorstände Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic. Es ist eine maximal unerquickliche Entwicklung, besonders vor dem Hintergrund einer derart langen, weitestgehend überaus erfolgreichen Zusammenarbeit, aus der beide Seiten erheblichen sportlichen und finanziellen Profit schlugen.
Insoweit macht es, nüchtern betrachtet, wenig Sinn, nach Neuers möglicher Genesung im kommenden Sommer einen Dreikampf der noch bis mindestens 2024 vertraglich an den Klub gebundenen Torhüter Yann Sommer, Alexander Nübel und einem körperlich, mental und als Führungskraft geschwächten Neuer auszurufen.
Sollte Nagelsmann dann noch Chefcoach sein, was in erster Linie vom Abschneiden in der Champions League abhängig sein dürfte, könnte der FC Bayern gut beraten sein, eine strategische Entscheidung zu treffen und schon zeitnah mit Sommer und Nübel die Post-Neuer-Ära zu fixieren. Andernfalls droht der derzeit in Monaco stabilisierte Nübel als Mann der Zukunft zum ärgsten Konkurrenten RB Leipzig abzuwandern. Neuer dürften seine großartigen Meriten der Vergangenheit wenig hilfreich sein. Aber vielleicht kommt ja auch alles noch ganz anders. Wir erleben es ja gerade: Die Untiefen des Profifußballs sind mitunter unergründlich.