Im Kaufrausch

Kein Verein hat seit Sommer mehr Geld für neue Spieler ausgegeben wie der FC Chelsea. Trotzdem hat Kai Havertz seinen Stammplatz behalten – Aubameyang auf der Streichliste.
Auch beim Fußball sind die Angebote in London so üppig, dass ein Wochenende nicht reicht, um alle Premier-League-Klubs abzuklappern. Ein Besuch an der Stamford Bridge sollte sich der sportbegeisterte Besucher unbedingt gönnen: Wie sich diese Kultstätte auch nach allen Ausbauarbeiten noch in ein Wohngebiet zwängt, das zum Stadtteil Fulham – und nicht Chelsea – gehört, ist allein ein architektonisches Kunstwerk. Hier im Südwesten der Großstadt, genau genommen im sechsten Bezirk, steht das „Kaufhaus des Westens“, wie das Fachmagazin „Kicker“ zur K.o.-Runde der Champions League getitelt hat. Kein Verein hat seit Sommer mehr Geld ausgegeben als die in US-amerikanischen Besitz gelangten Blues, die seitdem 600 Millionen Euro in den Markt pumpten. Der neue Eigner Todd Boehly und sein Konsortium lebten einen Kaufrausch aus, der seitdem immer wieder Gegenstand des feinen, englischen Humors ist. Mit unfassbar anmutenden Vertragslaufzeiten, teilweise gestreckt bis ins ferne Jahr 2031, haben die Besitzer alle finanziellen Vorgaben umschifft. Wenn Dortmunds Trainer Edin Terzic vor dem Hinspiel (Mittwoch 21 Uhr/Dazn) anmerkt, die Vorbereitung sei ziemlich schwierig gewesen, dann ist das beileibe nicht übertrieben. Die Gäste haben sieben Neue im Winter verpflichtet, darunter am letzten Tag der Transferperiode für 121 Millionen Euro mit Enzo Fernandez einen echten Weltmeister, gerade 22 geworden.
Nie ist auf der Insel mehr Geld für einen Kicker geflossen. Und das will was heißen. Natürlich steht Fernandez auf der Kaderliste, die für Spiele in der Königsklasse an die Uefa übermittelt wurde. Nur drei Neue durften nominiert werden. Die weitere Wahl fiel auf Leihgabe Joao Felix, den filigranen Portugiesen, den sich Chelsea von Atletico Madrid borgte. Für läppische zwölf Millionen. Dazu soll auch Mykhailo Mudryk vorspielen, ein hochbegabter Ukrainer, unfassbar schnell und wendig – und mit seinem blonden Scheitel und seinen blauen Augen wie gemacht dafür, dass ihn die jungen Fans in aller Welt schnell ins Herz schließen. Aber ob der Dribbler von Schachtjor Donezk deswegen gleich 70 Millionen Euro kosten musste? Plus 30 Millionen möglicher Bonuszahlungen, falls sich die mit ihm verknüpften Versprechungen tatsächlich erfüllen.
Rendite scheint bei Chelsea, wenn überhaupt, langfristiger Natur. Trotzdem ist der Erfolgsdruck kurzfristig für Trainer Graham Potter in den Achtelfinalduellen gegen den BVB gegeben. Gerade mal Zehnter in der Liga, sagenhafte 20 Punkte hinter dem Stadtrivalen FC Arsenal, sind angesichts der getätigten Investitionen ein Hohn. Die Champions League könnte die Kompensation bringen; so wie 2021, als Chelsea mit taktischen Meisterleistungen unter Trainer Thomas Tuchel den Henkelpott holte. Der Torschütze damals im Finale gegen Manchester City: Kai Havertz. Der deutsche Nationalspieler wird wohl auch jetzt wieder als falsche Neun beginnen. Es mutet wie ein Wunder an, dass trotz des immer weiter aufgeblähten Aufgebots kein klassischer Torjäger dabei ist, der wie einst das Klubidol Didier Drogba vorangeht. Aber Havertz hat ja immerhin bewiesen, den Klub zu Titel schießen zu können.
Der 23-Jährige hat, vorerst zumindest, seinen Platz behauptet. Ein anderer Bekannter aus der Bundesliga kam auf die Champions-League-Streichliste: Pierre-Emerick Aubameyang ist international neuerdings nicht mehr spielberechtigt.
Der Ex-Dortmunder hätte sicher allzu gerne die Gelbe Wand gegrüßt, für die er zum Jubeln früher mal eine Spiderman-Maske auspackte. Hätte gut in die beginnende Faschingszeit gepasst. Schade, dass der 33-Jährige fehlt. Aber ein Paradiesvogel wie Aubameyang wird es längst wissen: London hat auch abseits des Fußballs schöne Ecken.