Ihrer Zeit voraus

Sveindís Jane Jónsdóttir will mit dem VfL Wolfsburg ins Champions League-Finale. Zuvor muss der FC Arsenal aus dem Weg geräumt werden
Irgendwann hat Sveindís Jane Jónsdóttir fast beiläufig erzählt, welch große Entourage in London zu ihr hält. Wenn der VfL Wolfsburg zum Halbfinal-Rückspiel der Women’s Champions League bei Arsenal WFC im Emirates vor mehr als 55 000 Fans antritt (Montag 18.45 Uhr/ Dazn), dann sitzt eine Gruppe von zwei Fußballmannschaften nur für sie auf der Tribüne. „Von mir kommen 22 Leute aus Island.“ Allein 15 würde davon ihr Freund mitbringen, verriet sie lachend. Unterstützung kann nicht schaden, wenn der deutsche Meister und Pokalsieger beim englischen Topverein antritt, der nicht zufällig den FC Bayern ausgeschaltet hat.
„Es wird ein schweres Spiel. Wir haben gesehen, dass Arsenal niemals aufgibt und trotz unseres 2:0 noch den Ausgleich geschafft hat“, sagte die 21-Jährige in einer digitalen Medienrunde. Beim Hinspiel (2:2) weilte erstmals ihre Mutter Eunice auf der Tribüne der Wolfsburger Arena – und sah, wie ihre Tochter erst das 1:0 von Eva Pajor vorbereitete und dann das 2:0 erzielte. Die Verbindung der beiden ist eine besondere, wie Jónsdóttir erzählte: „Sie ist aus Ghana und als sie jünger war, wollte sie gerne Fußball spielen, aber es war nicht akzeptiert, dass Frauen in Ghana Fußball spielten. Sie durfte das nicht. Ich denke, heute lebt sie auch meinen Traum.“ Ihre Mama sei bei ihrem Tor so glücklich gewesen, als hätte sie selbst getroffen, fügte sie mit leuchtenden Augen an.
Wolfsburgs Nummer 23 sorgt seit geraumer Zeit regelmäßig für Glanzlichter, die Enttäuschung über die mit Island in den Playoffs so knapp verpasste WM-Teilnahme („Wir hätten es verdient gehabt“) ist längst verarbeitet: Ihre Dynamik und ihr Durchsetzungsvermögen sind aus dem Offensivspiel nicht mehr wegzudenken. In 43 Pflichtspielen für den VfL sind elf Tore notiert. Bereits beim DFB-Pokalhalbfinale gegen den FC Bayern (5:0) bot sie als Doppeltorschützin eine überragende Leistung.
Die groß gewachsene, überaus athletische, dazu technisch starke Fußballerin ist seit ihrer Jugend ihrer Zeit voraus. Vier Monate nach ihrem 14. Geburtstag absolvierte sie bereits für Keflavik IF ihr erstes Zweitligaspiel, in allen Juniorinnen-Auswahlen ihrer Heimat stach sie hervor. Es dauerte nicht lange, da galt sie als das größte Versprechen im isländischen Frauenfußball – und der Werksverein hatte mit der von 2016 bis 2020 Regie führenden isländischen Nationalspielerin Sara Bjork Gunnardottir ja bereits überaus gute Erfahrungen gemacht.
Ende 2020 stattete der Sportliche Leiter Ralf Kellermann das Toptalent mit einem Vierjahresvertrag aus. Zunächst aber spielte Jónsdóttir für ein Jahr auf Leihbasis für Kristianstads DFF in Schweden, um besser vorbereitet für die hohen Anforderungen zu sein. „Als mich ein solch großer Klub für den VfL Wolfsburg kontaktiert hat, fiel es mir nicht schwer, zuzusagen. Der Verein hat eine große Historie.“ Noch verständigt sich die sympathische Sportlerin vorwiegend auf Englisch, aber das meiste versteht sie inzwischen auf Deutsch.
Dass um diese entwicklungsfähige Allrounderin bald internationale Topklubs buhlen werden, versteht sich fast von selbst. Wie schon bei Caroline Graham Hansen und Eva Pajor gibt sie ein gutes Beispiel, wie Wolfsburg, Bayern oder auch Eintracht Frankfurt den internationalen Konkurrenzkampf annehmen müssen: indem sie beim Scouting auf einem noch nicht ganz so durchleuchteten Markt früher dran sind. Sollten der VfL nun zum sechsten Male ein Champions-League-Finale erreichen, würde der FC Barcelona warten, der sich gegen den FC Chelsea (1:1, 1:0) durchgesetzt hat.
Das Wiedersehen mit ehemaligen Wolfsburgerinnen wie der Norwegerin Hansen oder der Schwedin Fridolina Rolfö hat auch für Jónsdóttir einen besonderen Reiz: Das Ausscheiden im Halbfinale im Vorjahr gegen das spielstärkste Vereinsteam der Welt (1:5, 2:0) hat sie nicht vergessen. Beim Hinspiel sei man zu sehr von der gewaltigen Kulisse mit mehr als 90.000 Menschen im Camp Nou beeindruckt gewesen. „Es war damals nicht so einfach, mit dieser Menge umzugehen“, sagt die Isländerin, „aber daraus haben wir gelernt.“ Würde die Fahrkarte zum Endspiel gelöst, wäre Eindhoven am 3. Juni das letzte Reiseziel. Durchaus lohnend auch für den eigenen Fanclub der aktuell besten Wölfin.