Hollands Hoffnungsträger

Louis van Gaal bleibt ein knorriger Trainer, der sich nicht den Mund verbieten lässt, auch nicht im Fernduell mit Katars WM-Chef.
Louis van Gaal sagt, was er denkt. Am Montag bei der Pressekonferenz aus dem Headquarter des Königlichen Niederländischen Fußball-Verbandes (KNVB) in Zeist hat der Trainer deutlich klargestellt, dass ein Fußballspiel zwischen Niederlande und Deutschland bloß nicht mit Bedeutung überfrachtet gehört. „Ich bin nach dem Krieg geboren. Ich finde, die Deutschen sind sehr freundliche Menschen. Ich habe da gewohnt, ich kann das beurteilen.“
Van Gaal, inzwischen schon stolze 70, steht mal wieder als Bondscoach für seine Heimat in der Verantwortung. Keiner baut zum fünften Aufeinandertreffen der beiden Nationen binnen dreieinhalb Jahren eine bessere Brücke als jener knorrige, ja kauzige Fußballlehrer, der als Trainer beim FC Bayern auch mächtige Fußabdrücke in Deutschland hinterlassen hat. Seine Arbeitsweise war geradeaus, seine Art unbeugsam, womit vor allem das ehemalige Bayern-Oberhaupt Uli Hoeneß ein Problem hatte, der dem Niederländer vor elf Jahren bei dessen Entlassung nach nicht einmal zwei Spielzeiten wenig schöne Worte hinterherwarf.
Doch Bundestrainer Hansi Flick findet, dass es in der Rückschau nur Gutes über einen Mann zu sagen gibt, der noch heute gültige Grundprinzipien in München verankerte. „Ich freue mich ganz besonders auf Louis van Gaal. Er ist ein absoluter Fußball-Fachmann, von dem man sehr viel Positives hört, egal, ob man mit Hermann Gerland oder Karl-Heinz Rummenigge spricht“, erzählte Flick. Als van Gaal davon am Montag nach dem Mittagessen und auch noch von den schwärmerischen Aussagen seines einstigen Lieblingsspielers Thomas Müller („Müller spielt immer“) hörte, kündigte er grinsend einige Umarmungen an.
Debatte um die Dreierkette
Berührungsängste nach seiner überstandenen Corona-Erkrankung kennt van Gaal nicht, sonst hätte er am Samstag auch nicht das Testspiel gegen Dänemark (4:2) gecoacht, bei der alle Welt ergriffen auf das erstaunliche Comeback des Christian Eriksen schaute. Dabei ging die gute Vorstellung der unter van Gaal seit acht Spielen ungeschlagenen Niederländer fast unter. Trotzdem muss sich der Coach immer noch dafür rechtfertigen, warum auch er statt eines landesweit verankerten 4-3-3-Systems eine Dreierkette bevorzugt, die viele als Verrat an der eigenen DNA empfinden. Van Gaal aber findet, dass eine Dreierreihe mit Matthijs de Ligt, Virgil van Dijk und Nathan Aké, drei bei Juventus Turin, FC Liverpool und Manchester City beschäftigte Innenverteidiger der Spitzenklasse, seiner Mannschaft besser steht. Und wenn van Dijk darüber meckert, entgegnet er: „Ich habe die Spieler gehört, aber im Prinzip bestimmt der Trainer die Taktik.“ Erst recht, wenn er Louis van Gaal heißt.
Seine dritte Amtszeit als holländischer Hoffnungsträger nach 2000 bis 2002 und 2012 bis 2014 ist mit der Hoffnung verknüpft, dass die Elftal bei der WM in Katar endlich mal wieder ein verlässliches Turnier spielt. Das Aus im EM-Achtelfinale vergangenen Sommer gegen Tschechien (0:2) unter der Anleitung des nie vollständig akzeptierten Frank de Boer war ein herber Rückschlag, glaubte die Nation doch, die Talsohle mit den vermasselten Qualifikationen für die EM 2016 und WM 2018 sei durchschritten. Van Gaals Inthronisierung ist mit dem Wunsch verwoben, dass es noch mal so läuft wie bei der WM 2014, als das taktisch exzellent eingestellte Team im ersten Gruppenspiel den Weltmeister Spanien (5:1) überrollte und erst im Halbfinale an Argentinien (2:4 im Elfmeterschießen) scheiterte.
Als WM-Dritter wechselte van Gaal in jenem Sommer direkt zu Manchester United, wo er analog zum FC Bayern nicht mal zwei Jahre blieb. Viele vermuteten ihn hernach bereits im Ruhestand, doch auch dieser Trainer kann offenbar nicht lassen. Und den Mund verbieten kann ihm ohnehin niemand. Er nannte just die WM-Vergabe nach Katar lächerlich, die Begründung, damit werde eine Entwicklung angestoßen sei „Bullshit“. Der Konter aus der Wüste folgte prompt. „Für jemanden, der seit vielen Jahren dabei ist und die Kraft des Fußballs versteht“, entgegnete der entrüstete WM-Chef Hassan al-Thawadi, „ist es lachhaft, ein derart nichtssagendes Statement abzugeben.“ Jetzt wieder darauf angesprochen, sagte van Gaal nur: „Ich muss mich nicht wiederholen.“