Auf dem Rücken der Klubs: Debatte über Kunstrasenplätze nimmt Fahrt auf

Der hessische Innen- und Sportminister Peter Beuth (CDU) nimmt deutlich Stellung zum Granulat auf Kunstrasenplätzen.
Patrick Ihlefeld ist ein Mann, dem die Umwelt bestimmt nicht schnurz ist. Der Fußball-Abteilungsleiter des ambitionierten Gruppenligisten SG Rosenhöhe macht sich schon seit geraumer Zeit Gedanken darüber, wie er im privaten Haushalt Plastik vermeiden kann. Doch als er neulich von einer Bekannten eine Mail erhielt, in der sie ihn darauf aufmerksam machte, „was auf eurem Kunstrasenplatz los ist“, war er baff. Zehn Jahre lang hat die SG Rosenhöhe um den im Oktober 2016 dann endlich fertiggestellten Platz gekämpft, ehe die notorisch klamme Stadt Offenbach die 750 000 Euro zur Finanzierung zusammen hatte. Und jetzt das.
Ein paar Tage später erreichte Ihlefeld dann auch ein Schreiben des Hessischen Fußballverbandes, unterschrieben von keinem Geringeren als dessen Präsidenten Stefan Reuß. Der Verbandschef klärt darüber auf, dass „innerhalb der Europäischen Union gerade über ein Verbot von Kunststoffgranulat nachgedacht“ wird, und zwar schon ab dem Jahr 2021.
Das Granulat wird auf vielen der 440 hessischen Kunstrasenplätze verfüllt, um Verletzungsgefahren für die Spieler und den Abrieb der Spielfläche zu minimieren. Schätzungen zufolge gibt es deutschlandweit 5000 Kunstrasenplätze, hinzu kommen rund tausend Minispielfelder.
Umrüstung würde teuer
Prasident Reuß macht nun mobil: „Ein Verbot von Kunststoffgranulat wäre für unsere zahlreichen Vereine ein mächtiger Rückschlag.“ Kunstrasenplätze seien „für den Spiel- und Trainingsbetrieb unverzichtbar. Mögliche Nutzungsverbote würden die Sportversorgung der Bevölkerung erheblich beeinträchtigen“. Der Verband hat EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger kontaktiert, „um das zu erhalten, was viele Vereine unter großen Anstrengungen und Belastungen erreicht haben“. Preuß verspricht: „Selbstverständlich werden wir für unsere Vereine alle möglichen Wege beschreiten, um ein Verbot der angesprochenen Kunstrasenplätze zu verhindern.“
Patrick Ihlefeld hat das Verbandsschreiben an die Stadt Offenbach weitergeleitet, schließlich handelt es sich beim Kunstrasenplatz der SG Rosenhöhe, wie bei vielen anderen Plätzen im ganzen Land, um eine städtische Anlage. Für Ihlefeld steht fest: „Bei allem Verständnis für den Umweltschutz: Es kann nicht sein, dass die Debatte auf dem Rücken der Klubs ausgetragen wird.“ Aus Sicht von Ihlefeld ist es auch mit einer von Innenminister Horst Seehofer angeregten Übergangsfrist von sechs Jahren wenig geholfen. Denn ein Kunstrasenplatz der neuesten Generation ist auf eine Nutzungsdauer von zehn bis 15 Jahren angelegt. Allein die Umrüstung auf alternative Lösungen – Kork, Sand, Hybridrasen oder Kunstrasen ganz ohne Verfüllung – kosten bis zu einer halben Million Euro pro Spielfeld. Zu viel für viele Vereine und Städte.
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Der hessische Innen- und Sportminister Peter Beuth (CDU) hat bereits deutlich Stellung genommen: Gummigranulat habe zwar „keine Zukunft auf unseren Sportplätzen“, gleichwohl: „Bis ein geeigneter Naturstoff gefunden ist“, sei es „unverhältnismäßig, Kunstrasenplätze zu verbieten.“ Andernfalls drohe „deutschlandweit ein Fiasko für den Breitensport“. Hessen werde „unsere Sportvereine und die Kommunen nicht im Stich lassen“.
Seehofer seinerseits wirbt „für einen vernünftigen Ausgleich zwischen Umweltschutz und den berechtigten Interessen des Sports“. Es erschließe sich ihm nicht, warum „der Schaden eines Verbleibs“ bestehender Plätze „höher sein sollte als der Gewinn, der durch weitere Nutzung entsteht“, schrieb der CSU-Mann der Kollegin aus dem Umweltressort, Svenja Schulze (SPD). Schulze reagierte verständnisvoll: „Ob die EU-Kommission ein Verbot von Plastik-Einstreumaterial für Kunstrasenplätze vorschlagen wird, steht noch längst nicht fest“, ließ sie ausrichten. Grundsätzlich sei es zwar geboten, Mikroplastik zu vermeiden. Sie habe aber auch „großes Interesse daran, dass Sportvereine ihren Spiel- und Trainingsbetrieb ohne Einschränkungen durchführen können“.
Studie sieht Gefahren
Basis des von der Europäischen Union möglichen „Inverkehrsbringungsverbots“ von Mikroplastik ist eine Studie des Frauenhofer-Instituts und eine Initiative der Europäischen Chemikalienagentur. Danach könne die Verteilung des Granulats in der Umwelt durch Regen, Wind, Entwässerung, Schneeräumung sowie durch Kleidung und Schuhe erfolgen. Laut der Studie ist der Anteil der Austragung von Mikroplastik durch Sport an fünfter Stelle einzuordnen – nach Reifenabrieb, Abfallentsorgung, Abrieb Asphalt und Pelletverlusten.
Der Hessische Fußballverband sieht Möglichkeiten, die Umwelt auch mit den herkömmlichen Kunstrasenplätzen zu entlasten: zum Beispiel mit Rinnenfiltern und Auffangsieben an Abläufen, Schmutzfangmatten, Schuhbürsten am Ausgang, Sauberlaufzonen für Sportler sowie regelmäßiger Reinigung der Spielfeldränder.
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat mit Verbänden und Wissenschaft eine Arbeitsgruppe zum Thema gegründet. In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz wurde die Förderung von Kunstrasenplätzen mit Gummigranulat eingestellt.