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Freak mit Herz

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Von: Günter Klein

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Kann auch die OliKahn-Attitüde: Rafal Gikiewicz. Foto: dpa
Kann auch die OliKahn-Attitüde: Rafal Gikiewicz. Foto: dpa © dpa

Augsburgs Torwart Rafal Gikiewicz polarisiert gerne, hält vieles, nur nicht den Mund. Am Samstag stemmt er sich dem FC Bayern entgegen.

Wäre Rafal Gikiewicz Tscheche, könnte man ihn einen modernen Schwejk nennen. Denn er hat diesen harten osteuropäischen Sound und die Attitüde, von der sich die Deutschen gerne einnehmen lassen. Gikiewicz ist ein bereitwilliger und großartiger Erzähler, auch in der Sprache, die er erst erlernen musste, findet er plakative Bilder. Wie nach einer Augsburger Niederlage in Mainz, als er erklärte: „In erster Halbzeit wir waren für Gegner nur Vorspeise.“ Geäußert vor den TV-Kameras.

Die Fernsehanstalten bestellen Gikiewicz, 35, Torhüter des FC Augsburg, gerne für die Interviews nach den Spielen. Er liefert gute Töne, gute Bilder mit den weit aufgerissenen Augen und den großflächig tätowierten Unterarmen. Und meist war er für eine eigene Geschichte in der Partie gut. Wie in der vergangenen: Beim 2:1-Heimsieg gegen Werder Bremen legte Rafal Gikiewicz sich nach Schlusspfiff mit den Bremer Fans und einigen Werder-Spielern an. Ähnlich lief es schon in der Hinrunde: Da hielt er einen (ungerechtfertigten) Strafstoß und provozierte im Anschluss fast einen Platzsturm des Bremer Fanblocks, den er demonstrativ zuwinkte. (Die FR berichtete).

Rafal Gikiewicz stammt aus Polen, er ist ein alter Kumpel von Robert Lewandowski, gegen den er in der Heimat schon in der 3. Liga spielte. Der Stürmer Lewandowski hat danach zügig den Weg der ganz großen Karriere eingeschlagen, die ihn über Dortmund zu den Bayern und nach Barcelona führte, der Torwart Gikiewicz wunderte sich 2014 über ein Angebot aus Deutschlands zweiter Liga (Braunschweig), erst 2019 kam er mit Union Berlin in die Bundesliga und wurde ein bisschen berühmt, weil er im Derby Hertha-Fans aufhielt, die auf den Platz an der Alten Försterei rannten.

2021, da schon Augsburger, versuchte er am letzten Saison-Spieltag den 41. Treffer von Lewandowski zu verhindern (was ihm nicht gelang), während der WM 2022 war er viel im Fernsehen, in Deutschland und Polen, weil er es zu seinem Leidwesen und Unverständnis nicht geschafft hatte, sich für den WM-Kader seines Landes zu qualifizieren. Er gibt aber auch mit 35 nicht auf, er hofft „auf einen Einsatz – egal, gegen wen“. Er ist schließlich in der Bundesliga ein spektakulärer Keeper – und das will er diesen Samstag wieder zeigen, wenn der FCA in München anzutreten hat. In Augsburg hatte man die Bayern geschlagen. 1:0. Auch ein Torwartspiel.

Ziele am Kühlschrank

Gikiewicz ist die Marke des FC Augsburg, des schwäbischen Klubs, den viele auch im zwölften Bundesligajahr als ansonsten langweilig und verzichtbar wahrnehmen. Er wirkt größer als die Bühne, die er bespielt. Er hat den Oliver-Kahn-Anspruch, seinem Team eine gewisse Anzahl von Punkten pro Saison alleine zu gewinnen. Seine Ziele formuliert er auf Zetteln, die er zuhause an den Kühlschrank klebt, so dass er täglich mit ihnen konfrontiert wird. Bisweilen gibt er eine öffentliche Wasserstandsmeldung ab, welches Vorhaben schon realisiert ist. Nach schlechten Leistungen der Mitspieler findet er auch Worte der Kritik, was das Zusammenleben erschwert. Die „Augsburger Allgemeine“ fragte in einer Überschrift schon einmal: „Wie viel Gikiewicz verträgt eine Mannschaft?“, der Torwart selbst gab die Antwort: „Einer genügt.“ Unterm Strich sind die Gikiewicz-Effekte positiv.

Tatsächlich hat er viele Punkte festgehalten, und mit seiner Art treibt er die Mannschaft an. Im Wintertrainingslager in Spanien machte er die jungen Spieler an: „Warum sehe ich euch nicht im Kraftraum?“ Ab dem nächsten Tag kamen sie alle. Er sagt: „Ich wünsche allen, dass sie mit 35 so fit sind wie ich.“

Gikiewicz ist nach einem tollen ersten und einem durchwachsenen zweiten Jahr dank eines wieder guten dritten in Augsburg nach anfänglichen Irritationen, als Augsburg mit der Verpflichtung des Mainzer Finn Dahmen liebäugelte, längst unumstritten. Die Nummer zwei, der Tscheche Tomas Koubek, ist für die Mitspieler der angenehme Kumpeltyp, aber Gikiewicz, der Fußballfreak, der über alle Gegenspieler Bescheid weiß, halt der Rückhalt, den eine stark verjüngte Augsburger Mannschaft benötigt. Über gelegentliche Patzer wie beim Bremer Gegentor sieht man beim FCA hinweg. „Wenn er einen Fehler gemacht hat, steht Rafa gerade da und hält den nächsten Ball“, sagt Trainer Enrico Maaßen.

Die Ruhe in der Konfrontation mit Einflüssen von außen sollte Gikiewicz sich halt noch aneignen. „Einfach mal weggehen“, rät Sport-Geschäftsführer Stefan Reuter für die Minuten nach dem Schlusspfiff, wenn sein Torwart eine brodelnde Masse hinter sich hat.

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