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Flick muss Flick-Schustern

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Von: Jan Christian Müller

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Gute Laune ist schon mal nicht schlecht: Aber ob Timo Werner das Sturmproblem des DFB lösen kann?
Gute Laune ist schon mal nicht schlecht: Aber ob Timo Werner das Sturmproblem des DFB lösen kann? © dpa

In der Offensive hat das DFB-Team viele Alternativen, aber keine klassische für die Sturmmitte.

Wolkenloser Himmel im schönen Frankenland, 22 Grad morgens um kurz nach halb elf auf dem Trainingsplatz der deutschen Fußball-Nationalmannschaft: Timo Werner verspringt eine Annahme. Der Ball klatscht ihm ins Gesicht. Serge Gnabry fällt vor Lachen um und kringelt sich auf dem satt getränkten Rasen. So geht’s gerade zu im DFB-Team.

Aber es gibt auch ernste Momente. Zum Beispiel dann, wenn der echte unter den 80 Millionen Bundestrainern eine Mittelstürmer-Frage beantworten soll. Mittelstürmer-Fragen sind in Deutschland seit ein paar Jahren pikante Fragen. Also sagt Hansi Flick in größtmöglicher Diplomatie über den nicht anwesenden Mittelstürmer Simon Terodde: „Wenn er auf Topniveau gut performt und Tore macht, stehen ihm alle Türen offen.“ Terodde ist 34. Er ist ein typischer Zweitliga-Goalgetter. Damit ist, ohne dem Schalker Aufstiegshelden zu nahe zu treten, so ziemlich alles gesagt. Hätte Deutschland keine Leerstelle dort vorn, würde niemand nach Terodde fragen.

Hansi Flick weiß um das Mittelstürmer-Problem im Land. Aber er würde es öffentlich nie so benennen, dass er deshalb ein bisschen Flick-Schustern muss. Weil er Timo Werner nicht beschädigen will. Weil er sicher ist, dass Werner funktionieren kann, wenn er mit Selbstvertrauen vollgepumpt wird. Der 26-Jährige blieb in den abschließenden vier Saisonspielen für den FC Chelsea ohne Einsatzminute. Und doch dürfte Werner in den anstehenden Nations-League-Spielen, zunächst gegen Italien am Samstag (20.45 Uhr/RTL), dann gegen England am kommenden Dienstag in München, von Beginn an stürmen.

Topscorer Timo Werner

Werner ist Deutschlands Topscorer, seit Flick übernommen hat. Sechs Tore in sieben Länderspielen – allerdings gegen Gegner vom Kleinkaliber wie Israel, Nordmazedonien und Liechtenstein. Das ist okay, aber reicht das auch für Italien und England? Und bei der WM im Winter, wenn es um die Wurst geht?

Ein klassischer Mittelstürmer ist Werner natürlich nicht. Davon gibt es niemanden mehr im Land, seit Mario Gomez bei der EM 2016 noch ganz ordentlich performte, ehe er mit einem Muskelfaserriss das verloren gegangene Halbfinale gegen Frankreich verpasste. Thomas Müller musste seinerzeit Gomez vertreten. Das ist nicht sein Spiel. Müller braucht ein bisschen Anlauf. So hat er auch das bisher letzte Tor für Deutschland geschossen. Mit links im März beim 1:1 in Amsterdam.

Mit Offensivspielern ist das DFB-Team zwar gut versorgt, jedoch mit Leuten, die lieber um die Mitte drumherum spielen: Werner, Müller, Kai Havertz, Gnabry, der zuletzt in München erschreckend formschwache und lustlos wirkende Leroy Sané (der mit seiner Extravaganz schon Ex-Bundestrainer Joachim Löw fast in den Wahnsinn trieb), der künftige Dortmunder Karim Adeyemi, dessen neue BVB-Spielkameraden Marco Reus und Julian Brandt, schließlich noch der junge Wolfsburger Lukas Nmecha.

Am ehesten ist noch Havertz, neuerdings mit Kurzhaarschnitt unterwegs, zuzutrauen, auf internationalem Topniveau einen klassischen Mittelstürmer zu geben. Havertz ist erstaunlich kopfballstark und weiß seinen mit viel Gefühl gesegneten linken Fuß nicht nur in der Vorarbeit gewinnbringend einzusetzen.

Nmecha gehört laut Bundestrainer zum Kader, weil er „ein etwas anderes Spielerprofil hat“. Mit 1,85 Metern ist der 23-Jährige aber auch kein Brecher – zwei Tore in den letzten zehn Bundesligaspielen sind zudem eine magere Referenz. Fakt ist: Im einstigen Stürmerland Deutschland findet sich keiner wie Robert Lewandowski, Erling Haaland, Harry Kane, noch nicht mal ein Passepartout auf Ciri Immobile.

Es dürfte Flick nicht viel anderes übrig bleiben, als sein ohnehin bevorzugte Angriffsspiel zu perfektionieren: Anspiele in die Tiefe in den Halbräumen, die mit Tempoläufen erreicht werden, flache Rückpässe in den Strafraum, Abschluss, Tor, wie Müller gegen die Niederlande. Prädestiniert dafür ist vor allem Leon Goretzka, einer, der idealtypisch mit Wucht aus dem Mittelfeld in den Strafraum vorstößt. „Ich kann Teil einer Lösung sein“, sagt er. „Wir müssen auch aus dem Mittelfeld heraus mehr Torgefahr ausstrahlen.“

Gnabry bietet sich an

Zwei Stunden nach seinem Lachanfall im Training sitzt Serge Gnabry auf dem Presse-Podium und sieht längst nicht mehr so fröhlich aus. Medientermine gehören sicher nicht zu seiner Lieblingsbeschäftigung. Gnabry hat keine Lust, über seine ungewisse Zukunft in München zu sprechen. Aber ja, er könnte sich vorstellen, als Mittelstürmer gute Dienste zu tun. Für die Bayern und fürs Nationalteam. „Als Mittelstürmer habe ich eine ordentliche Quote.“ Joachim Löw hat mal gesagt: „Gnabry spielt immer!“ Von Flick hat man diese Tonalität noch nicht gehört, Timo Werner hätte er gern zu den Bayern geholt. Damals, in einer längst vergangenen Zeit.

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