Ein Verlust

Der DFB legt Stefan Kuntz keine Steine in den Weg für ein Engagement in der Türkei. Wenn das mal kein Fehler ist. Ein Kommentar.
Es ist gewiss keine Überraschung: Das Präsidium des Deutschen Fußball-Bundes hat Stefan Kuntz die Freigabe für eine mögliche Anstellung als Nationaltrainer der Türkei erstattet. Den zweieinhalb Dutzend Herren und der einen Frau in der DFB-Regierung blieb gar nichts anderes übrig. Zu sehr hat sich der U21-Trainer - zwei EM-Titel 2017 und 2021, eine Finalteilnahme 2019, Olympiasilber 2016 - um die Nachwuchsförderung verdient gemacht. Entsprechende Anerkennung dafür hat Kuntz mehr bei Spielern, Medien und Öffentlichkeit erfahren als beim Vorgesetzten Oliver Bierhoff oder beim vormaligen Bundestrainer Joachim Löw. Beide begegneten Kuntz merkwürdig reserviert, ja, fast schon nichtachtend.
Dessen fortschreitende Entfremdung vom Arbeitgeber konnte nun auch Hansi Flick trotz erkennbarer Mühen nicht ins Gegenteil verkehren. Im Grunde hatte sich Kuntz innerlich vom DFB verabschiedet, nachdem er als Kandidat für die Löw-Nachfolge nie ernsthaft in Betracht geraten war. Für den Verband und dessen zweitwichtigste Mannschaft ist das ein herber Verlust. Der vom damaligen Sportdirektor Flick zum DFB navigierte Ex-Nationalstürmer hat in seiner Ansprache den richtigen Ton getroffen und auf den taktischen Rat seiner Assistenten Daniel Niedzkowski und Antonio di Salvo stets viel Wert gelegt. Zum eigenen Vorteil und zu dem der gesamten U21-Mannschaft, die sich dem Niedergang der DFB-Teams von der U15 bis zur A-Nationalmannschaft praktisch im Alleingang entgegenstemmte.
Noch sind die Verhandlungen des 58-Jährigen, der einst unter Christoph Daum für Besiktas Istanbul stürmte, mit dem türkischen Verband nicht abgeschlossen. Aber sie sind aussichtsreich. Der DFB bräuchte zeitnah einen Nachfolger, denn das nächste EM-Qualifikationsspiel gegen Israel findet bereits Anfang Oktober statt.
Erster Kandidat als Kuntz-Nachfolger dürfte der bundesligaerfahrene U19-Trainer Hannes Wolf sein, der zuletzt Bayer Leverkusen in die Europa League coachte, zuvor beim HSV (erfolglos) und VfB Stuttgart (Aufstieg in die Bundesliga) tätig war.
Im Verband hat man zuletzt mehr Wert darauf gelegt, Ex-Profis zu Trainern weiterzuentwickeln: Die U 20 coacht Christian Wörns, Hanno Balitsch ist Assistent der U 19, Jens Nowotny Co-Trainer der U 18, Heiko Westermann in gleicher Funktion bei der U 17, Christian Wück trainiert die U 16. Für viele ist das ein Sprungbrett, Stefan Kuntz hat es perfekt genutzt.