Die wundersame Auferstehung des FC Schalke 04

Trainer Thomas Reis haucht einer schier mausetoten Mannschaft neuen Atem ein.
Irgendwann war dann an der Castroper Straße noch ein Beutel Reis geflogen, kein Basmati, eher Kochbeutel, aber das war ja auch egal. Und in der Tat einen Ticken subtiler als das Plakat, das sichtbar eine weitere gewisse Verrohung der guten Sitten markierte. „Wenn du kein ehrloser Bastard bist, wer dann?“, hieß es da im Bochumer Block, natürlich war Thomas Reis gemeint, inzwischen Trainer auf Schalke und einer, der bald 20 Jahre für den VfL Bochum tätig war, in allerlei Funktionen, der Mann, der den VfL überhaupt erst in der Zweiten Liga gehalten, in die erste Liga gehievt hat und seinen ersten Wohnsitz weiterhin in Bochum hat. Ein ehrloser Bastard?
Aber Teile des Bochumer Publikums sind ohnehin grenzwertig unterwegs, und da braucht man erst gar nicht den Bierbecher-Wurf auf einen Linienrichter im vergangenen Jahr oder grundsätzliche Beschimpfungen der Gegner zu nennen, da reicht die trübe Aktualität: Selbst der Bochumer Mittelfeldspieler Philipp Förster schaute verdattert in ausgestreckte Mittelfinger der VfL-Anhänger: „Ich kann nicht verstehen und auch nicht akzeptieren, dass uns die eigenen Fans den Stinkefinger zeigen.“ Noch während der laufenden Partie forderte die VfL-Kundschaft lauthals mehr Einsatz ein, hinterher pfiffen sie von der Ostkurve auf ihre Lieblinge. So könnte es, als Tabellenletzter, womöglich ein klein wenig schwerer werden, die Klasse zu halten. Der Trend ist nicht der Bochumer friend.
Ganz anders als beim FC Schalke 04.
Was ist da nur geschehen mit einer Mannschaft, die bis zu Beginn dieses Jahres verlacht, verprügelt, nicht mehr ernst genommen wurde von der Konkurrenz, ein Team, das dem Abstieg geweiht schien. Und jetzt? Ist der FC Schalke 04 die einzige Mannschaft, die in der Rückrunde nicht verloren hat – außer natürlich Borussia Dortmund, gegen die S04 am nächsten Samstag die Mutter aller Derbys bestreitet.
Slapstick-Riemann
Sechs Spiele ohne Niederlage, 4:1 Tore, erstmals seit Oktober 2022 die Rote Laterne weitergereicht (pikanterweise an den VfL Bochum) - das klingt nach einer ziemlichen Erfolgsgeschichte und ist auch eine. Das letzt Mal, als Schalke ein Auswärtsspiel gewonnen hatte, spielten noch Alexander Nübel und Amine Harit, Omar Mascarell, Marc Uth und Bastian Oczipka, David Wagner war Trainer, es war am 23. November 2019, vor dreieinhalb Jahren, 2:1 bei Werder Bremen. Und jetzt 2:0.
Womöglich liegt das auch an dem Trainer, Thomas Reis. Der 49-Jährige hat die Knappen aufs richtige Gleis gesetzt, sie spielen einen manierlichen Fußball, und prompt gibt sich neben harter Arbeit, etwa an Standards, auch die Dame Fortuna die Ehre: Mit dem Tor zum 1:0, einer selten aufgeführten Slapstick-Einlage des VfL-Torhüters Manuel Riemann, der den Ball unbehelligt selbst über die Linie patschte, hatten die Schalker nichts zu tun. Ohne die tatkräftige, freilich stümperhafte Mithilfe der Gastgeber wäre überhaupt nichts passiert. Immerhin entsprang das 2:0, das Marius Bülter (79.) erzielte, einer geplanten und einstudierten Aktion.
Der Glaube an eine Rettung ist in Gelsenkirchen-Buer zurück, vier Teams sind punktgleich, ein rettender Platz ist längst in Schlagnähe. „Das waren unheimlich wichtige Punkte“, fasste Reis die aufwühlenden 90 Minuten zusammen. Er verzog übrigens aus Respekt bei den beiden Toren so gut wie keine Mine, man könne sich auch „innerlich freuen“, sagte er. Von Triumpfgeheul oder Gesten der Genugtuung war der Mann mit Größe weit entfernt. „Wenn es nach mir geht, würde ich mir wünschen, dass beide drin bleiben“, sagte er, „das wäre für das Ruhrgebiet gut.“ Und für ihn persönlich auch.
Ohnehin hat er schon seinen Fehler aus der Sommerpause eingeräumt, als er - noch als VfL-Coach - öffentlich geleugnet hatte, jemals Kontakt mit Schalke gehabt zu haben. Den hatte es nämlich gegeben, seitdem ist das Verhältnis zum Bochumer Klub zerrüttet.