Die Schwachstelle

Frauen erleiden im Fußball zwei- bis dreimal häufiger einen Riss des vorderen Kreuzbandes als Männer. Auch das Nationalteam ist betroffen – und der Forschungsbedarf enorm hoch.
Gleich mehrfach, so erzählte es Sara Däbritz erfreut, sei am Mittwoch ein Ständchen für sie erklungen. Schließlich feierte die Mittelfeldspielerin von Olympique Lyon ihren 28. Geburtstag im Trainingslager in Marbella, wo sich das deutsche Frauen-Nationalteam für das erste Länderspiel im WM-Jahr gegen Schweden in Duisburg (Dienstag 18.15 Uhr/ZDF) gerade in Schwung bringt. Insgesamt elf Wochen war Däbritz verletzt, stieg erst im Januar voll ins Training ein. „Ich wurde am Sprunggelenk operiert, die Bänder gestrafft.“
Jede Einheit im Marbella Football Center beginnt zudem bei ihr mit einigen Extraübungen speziell für die Beine, „ein gutes Krafttraining, um die Muskulatur zu kräftigen“. Präventionsmaßnahmen, die auf ihren Kreuzbandriss vor drei Jahren zurückführen. Die Häufung dieser Verletzung bei den Topspielerinnen nennt die deutsche Führungskraft „auffällig“.
Deshalb fehlt beim Vizeeuropameister noch die beste Technikerin. Däbritz‘ Vereinskollegin Dzensifer Marozsan hat zwar nach einem im April vergangenen Jahres bei einem EM-Qualifikationsspiel in Serbien erlittenen Kreuzbandriss auf Vereinsebene schon wieder gespielt, aber das Comeback im Nationaltrikot noch verschoben: Die 30-Jährige will lieber noch Aufbautraining bestreiten. Auf unbestimmte Zeit ist Giulia Gwinn raus: Die 23-Jährige zog sich bereits das zweite Mal in der Karriere einen Kreuzbandriss zu.
Die DFB-Frauen spiegeln ein Kardinalproblem, das kürzlich beim 8. Medical Symposium der Uefa in Frankfurt zur Sprache kam: Generalsekretär Giorgio Marchetti nannte die „vielen Verletzungen des vorderen Kreuzbandes im Frauenfußball“ als ein zentrales Thema, denen sich Mediziner aus Verbänden und Vereinen intensiver widmen müssten. „Diese Verletzungen traten bei Frauen schon immer zwei- bis dreimal häufiger auf als bei Männern, aber es wäre zu einfach, diesen Umstand nur diesem einen Faktor zuzuschreiben“, erklärt der Uefa-Chefmediziner Zoran Bahtijarevic. „Die Biomechanik des weiblichen Körpers, insbesondere der unterschiedliche Winkel zwischen Oberschenkelknochen und Becken, führen zu andersartigen Belastungen auf das Knie.“
Karriere kann beendet sein
Tim Meyer, Vorsitzender der Medizinischen Kommission der Uefa und des DFB, weiß, dass diese Verletzung für viele Fußballerinnen sogar „karrierebeendend“ ist. Nicht alle bringen so gutes Heilfleisch mit wie Nia Künzer, vor 20 Jahren Schützin des Golden Goal gegen Schweden im WM-Finale, die insgesamt vier Kreuzbandrissen trotzte. Däbritz macht Handlungsbedarf aus: „Es ist wichtig, dass man dahingehend in Forschung investiert, weil ein Frauenkörper anders ist als ein Männerkörper.“
Bahtijarevic stimmt zu: „Bislang wurden die Erkenntnisse aus Studien über männliche Sportler schlicht auf den Frauenfußball übertragen. In diesen Studien werden die zahlreichen Unterschiede zwischen dem männlichen und weiblichen Körper nicht berücksichtigt; weder mit Blick auf Zusammensetzung und Funktionen des Gehirns, noch auf Nacken und Muskeln, noch auf die Biomechanik bis hin zu hormonellen Schwankungen während des Menstruationszyklus.“
Es kämen aber noch zahlreiche weitere Faktoren hinzu. Aus diesem Grund habe die Uefa einen Expertenausschuss für Frauengesundheit ins Leben gerufen und werde Ausschreibungen für medizinische Forschungsarbeiten in Auftrag geben.
Der Uefa-Chefmediziner sieht zwar keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass die Verletzung häufiger als früher vorkomme – das gebe die Verletzungsstudie nicht her. Aber die Öffentlichkeit sei für das Thema sensibilisiert, weil so viel Prominenz auf der Ausfallliste steht. Vivianne Miedema und Beth Mead humpelten bei der BBC-Ehrung zur „Persönlichkeit des Jahres“ in Manchester auf Krücken heran. Die niederländische Nationalstürmerin hatte sich genau wie die englische Europameisterin beim Arsenal WFC das Kreuzband gerissen, beide werden im Champions-League-Viertelfinale gegen den FC Bayern (21./29. März) fehlen. Prominenteste Opfer war Weltfußballerin Alexia Putellas vom FC Barcelona, bei der kurz vor der EM im Training mit Spaniens Nationalteam das Kreuzband riss.
Fouls eher selten Ursache
Selten führten Fouls, sondern oft Drehungen oder Landungen nach einem Absprung ohne gegnerische Einwirkungen zu dieser Verletzung. Längst sind fast überall präventive Übungen in den Alltag integriert. Dazu gehören spezielle Einheiten auf instabilen Untergründen sowie ein umfangreiches Koordinations- und Sprungtraining. Wegen der „multifaktoriellen Ursachen“, erläutert Meyer, „gibt es aber nicht die eine Übung, mit der sich die Verletzung verhindern lässt. Ich glaube nicht, dass sich die Rate auf die der Männer drücken lässt.“
Denn mit alleiniger Verbesserung der Muskulatur ist die Verletzung nicht zu vermeiden, sagen viele Experten, die speziell Frauen zu einer längeren Pause als nur einem halben Jahr raten. Eigentlich brauchen gerissene Kreuzbänder bei Profis neun bis zwölf Monate, bis sie vollständig geheilt sind.
Wer es danach zurück auf den Platz schafft, hat vielleicht sogar einen Vorteil. Sara Däbritz verriet einmal: „Diese Verletzung hat mich noch stärker gemacht – mental, als Person – aber auch auf dem Platz.“