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„Die Schiris sind zu Recht verärgert“

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Von: Jan Christian Müller

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Neulich in der Kreisliga A in Kelkheim, Hessen, beim Spiel TuS Hornau II gegen SC Eschborn: Schiedsrichter Frank Heere maßregelt den Eschborner Rrahim Sefa. Imago Images
Neulich in der Kreisliga A in Kelkheim, Hessen, beim Spiel TuS Hornau II gegen SC Eschborn: Schiedsrichter Frank Heere maßregelt den Eschborner Rrahim Sefa. Imago Images © IMAGO/Marcel Lorenz

Einem Streikaufruf von Amateur-Referees wird kaum gefolgt, sehr wohl aber den Forderungen.

Der Aufruf zum Streik „auf allen Sportplätzen in Deutschland“ an diesem Sonntag kommt aus dem sächsischen Plauen. Dort existiert seit einigen Jahren die Interessengemeinschaft (IG) Schiedsrichter, eine privat gegründete Gruppe von Referees. Deren Forderung: „Grundlegende Reformen müssen her! Nur so kapieren es auch die Letzten und setzen sich für uns ein. Offenbar will sich kein Verband dem Thema Gewalt gegen Schiedsrichter annehmen. Dabei sinken die Schiedsrichterzahlen dramatisch.“

Die IG Schiedsrichter will zudem erreichen, dass Schiedsrichter:innen von Verbandsseite juristische Unterstützung bekommen und Schadenersatzforderungen vom DFB übernommen werden. Anlass ist der Fall einer vom Schiedsrichter bei einem unterklassigen Spiel im Kreis Wiesbaden per lautem Pfiff aufgelösten Rudelbildung. Dabei erlitt ein Spieler bleibende Schäden im Ohr. Der Schiedsrichter wurde zu 80 Sozialstunden verurteilt und zahlte 2500 Euro Schmerzensgeld. Der Hessische Fußballverband (HFV) zeigt sich grundsätzlich einsichtig: „Fragen einer juristischen Unterstützung in Einzelfällen bedürfen einer verbandsinternen Nachbesserung.“

Der Vorstoß der IG Schiedsrichter ist bei weitem nicht der erste Streikaufruf leidgeplagter Unparteiischer. Im November 2017 hatte der Kreis Arnsberg im Sauerland einen kompletten Kreisligaspieltag abgesagt, nachdem zuvor zwei Schiedsrichter tätlich attackiert worden waren.

Im Frühjahr 2017 hatten Referees im niedersächsischen Weser-Ems-Kreis einen Spieltag boykottiert, nachdem das Oberverbandssportgericht eine Strafe gegen einen Bezirksligaklub wegen Schiedsrichterbeleidigung aufgehoben hatte. Ein Zuschauer hatte nach dem Spiel zum Schiri gesagt: „So etwas wie euch sollte man vergasen.“

Im Herbst 2019 gab es nach Gewaltexzessen einen Aufstand der Berliner Unparteiischen. „Es darf nicht den ersten toten Schiedsrichter in Deutschland geben“ bevor sich etwas ändere, warnte seinerzeit Schirisprecher Ralf Kisting.

Im Frühjahr 2018 blieben rund 150 Jugendspiele in Frankfurt ohne offizielle Leitung, „weil die Übergriffe gegenüber Schiedsrichtern eine neue Dimension erreicht“ hatten, wie es aus dem Kreisschiedsrichterausschuss hieß. Der ist mit mehr als 300 Referees der Größte seiner Art in Hessen und einer der Größten in der ganzen Republik

Vier Jahre später meldet sich der zuständige Frankfurter Schiedsrichterobmann Goran Culjak sehr freundlich am Telefon. Er erinnert sich, dass der Streik seinerzeit nicht gut „bei den Herren da oben“ im HFV angekommen sei.

Auch im Frühjahr 2022 ist das nicht anders. Der HFV erachtet es als „nicht als zielführende Maßnahme, den Amateurfußball durch einen Streik für einen Spieltag lahmzulegen“. Die Erfahrung habe gezeigt, dass ähnliche Aktionen in der Vergangenheit zu keinen Verbesserungen geführt hätten. So sehen es in nahezu inhaltsgleicher Argumentation die allermeisten DFB-Landesverbände. Einer droht gar unverhohlen: „Sollten sich Schiedsrichter aus unserem Landesverband beteiligen und dies auch öffentlich proklamieren“, so könne nicht garantiert werden, „dass keine sportrechtlichen Konsequenzen folgen.“

Der hessische Kreisschiedsrichter-Obmann Andreas Reuter hält auch deshalb nichts von einem Streik, „weil man damit alle bestrafen würde, auch diejenigen Vereine, die gut mit den Schiedsrichtern umgehen“. Grundsätzlich fehlt ihm die Wertschätzung für Referees: „Wenn die eine super Leistung gezeigt haben, wird das kaum einmal erwähnt.“ Da hat er zweifellos Recht.

Der Frankfurter Schiri-Chef Culjak wundert sich über den Streikaufruf, weil die sächsische IG Schiedsrichter „vielen Schiris und auch mir nicht wirklich bekannt ist“. Aber er sieht durchaus Anlass zu Fundamentalkritik. „Wir führen seit Jahren schon einen Kampf mit den Kreissportgerichten. Denn wir Schiedsrichter möchten wissen, wie etwa Spielabbrüche sanktioniert worden sind.“ Die Vereine hätten diesen Antrag auf Transparenz jedoch beim letzten HFV-Verbandstag abgeschmettert. „Die Klubs wollen nicht, dass die Sportgerichte uns ihre milden Urteile bekanntmachen. Darüber sind die Schiris zu Recht verärgert, und ich bin es auch.“

Weitere Kritikpunkte des Frankfurter Schiedsrichterfunktionärs: Es habe in der jüngsten Vergangenheit „zu viele Regeländerungen gegeben, da haben wir Schiedsrichter selbst kaum noch durchgeblickt“. Zudem habe der Probebetrieb mit der Wiedereinführung der Zehn-Minuten-Strafe 2021/22 in Hessen Schwächen: „Warum darf ein Schiedsrichter im Seniorenbereich eine Zehn-Minuten-Strafe erst aussprechen, nachdem er zuvor bereits Gelb gezeigt hat? Und warum gilt die Zehn-Minuten-Strafe nicht auch für Frauenspiele?“ Seine Meinung: „Verwirrung pur!“

Grundsätzlich sieht Culjak es so: „Wir werden von vielen Vereinen nicht als Partner angesehen, sondern als notwendiges Übel.“ Die DFB-Kampagne „Danke Schiri“ sei ja schön und gut, aber: „Ich erwarte mehr Support auch von den Bundesligaklubs. Das ist bislang nicht passiert.“ Und er hofft, dass durch die spürbare Spesenerhöhung ab 1. Juli mehr Schiris geworben werden können. Ein Assistent in der Gruppenliga bekommt statt 15 dann beispielsweise 25 Euro.

Der Hessische Fußballverband gibt zum Thema Streik zu bedenken: In der IG Schiedsrichter engagierten sich „sicher Menschen mit viel Herzblut, die nur das Beste für das Schiedsrichterwesen wollen“. Allerdings habe die IG kein „Mandat, das sie ermächtigt, im Namen aller Schiedsrichter:innen zu sprechen“. Ohnehin sehe es nicht so aus, als würde dem Boykottaufruf flächendeckend gefolgt. Gleichwohl sei „nicht wegzudiskutieren, dass im Amateurfußball Schwierigkeiten im Schiedsrichter:innen-Bereich bestehen“. Der Verband würde „die Forderungen ernst“ nehmen. Aber bitteschön ohne Streik.

Die Streik-Initiatoren aus Plauen haben den Gegenwind zur Kenntnis genommen. Ihr Zwischenfazit: „Das Ziel des Streikaufrufs war wachzurütteln. Das haben wir geschafft!“

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