Die Reifeprüfung

Leipzigs neuer Stammkeeper Janis Blaswich muss im schottischen Hexenkessel bestehen.
Es wäre allemal interessant, Einblick in die Chatprotokolle zu gelangen, die in den letzten Tagen zwischen Janis Blaswich und Marc-André ter Stegen entstanden sind. Die Torhüter von RB Leipzig und des FC Barcelona schreiben sich regelmäßig, was sich aus ihrem Werdegang erklärt: Blaswich, 31, und ter Stegen, 30, kommen nicht nur aus derselben Generation, sondern auch aus derselben Ecke; der eine aus Willich am Niederrhein, der andere direkt aus Mönchengladbach. Beide haben ihr Torwart-Handwerk im Fohlenstall gelernt.
Blaswich kam 2006 ins Nachwuchsleistungszentrum von Borussia Mönchengladbach, wo ter Stegen schon im Kindesalter untergeschlüpft und früh als Ausnahmetalent erkannt war. Die Rollenverteilung in der zweiten Mannschaft war insofern keine Überraschung: Ter Stegen gab den Stamm- und Blaswich den Ersatztorwart, ehe der Fußballlehrer Lucien Favre mitten im Abstiegskampf 2011 das Eigengewächs ter Stegen zu den Profis beförderte. Die gemeinsame Zeit möchte Blaswich bis heute nicht missen. „Ich habe mir viel von ihm abgeschaut“, sagt er. „Wir sind befreundet und versuchen uns zu sehen, wenn es passt.“ Zuletzt beim Länderspiel in Leipzig hat’s mit einem Wiedersehen geklappt.
Der in Jugendzeiten für den Italiener „Gigi“ Buffon schwärmende Blaswich wartete – anders als Kumpel ter Stegen – vergeblich auf seinen Profi-Einsatz mit den Gladbachern. Zwischenzeitlich wurde er an die Drittligisten Dynamo Dresden und Hansa Rostock verliehen. Nun aber ist auch der 1,93-Meter-Mann auf der großen Bühne angekommen. Die Auswärtspartie von RB Leipzig bei Celtic Glasgow am Dienstag (21 Uhr/Dazn) wird zur Feuertaufe für einen Schlussmann, der durch den Kreuzbandriss von Peter Gulacsi ins Rampenlicht gelangt ist.
„Natürlich habe ich mir das erträumt“, sagt er, „aber man wünscht nie dem anderen einen Verletzung.“ Alle RB-Kicker trugen vor der Bundesligapartie beim FSV Mainz (1:1) Aufwärm-T-Shirts mit der Nummer eins. Vorne aufgedruckt: „Come Back stronger.“ Stärke aber muss auch Blaswich beweisen, wenn er im Hexenkessel Celtic-Park vor 60 000 fanatischen Fans bestehen will. Kapitän Willi Orban findet zwar auch deutsche Stadien schön, „aber da war ich ja überall schon. In Schottland wird es noch einmal etwas anderes – wir müssen uns warm anziehen.“
Furcht vor Glasgow
Zudem begleiten ungute Erinnerungen die Glasgow-Reise: Erst Anfang Mai verspielten die Sachsen im Rückspiel bei den Rangers den Einzug ins Europa-League-Finale gegen Eintracht Frankfurt. Gegen den Erzrivalen Celtic sollen sich alle gegen die Wucht von Rängen und den Willen auf dem Rasen stemmen. Rose fordert „maximales Selbstvertrauen und gegenseitige Unterstützung“ ein. Ein Rückhalt und Ruhepol hilft da immer.
Leipzigs Nummer 21 hat sachdienliche Hinweise geliefert, dass er bei dieser Reifeprüfung kein Nervenflattern bekommt. In Mainz hatte er zwar Aktionen, in denen er die Fäuste nutzte, obwohl er den Ball hätte fangen können, aber ansonsten gab es am Tormann nichts auszusetzen. „Er strahlt Ruhe und Klarheit aus, macht es auch mit dem Ball ordentlich“, lobte Rose. Vordermann Marcel Halstenberg fand sogar: „Es sieht so aus, als wenn er schon mehrere Jahre bei uns ist, uns so führt er sich auch auf.“ Das Selbstbewusstsein hat sich Blaswich in vier Jahren bei Heracles Almelo in der niederländischen Ehrendivision angeeignet. „Eine wichtig Zeit für mich. Sie hat mich als Sportler und Mensch weitergebracht.“
Er ahnt, dass ihm am Dienstagabend in der „Paradise“ genannten Kultstätte des schottischen Traditionsvereins mehr abverlangt werden dürfte als beim überraschenden Champions-League-Debüt vergangenen Mittwoch, als er ohne Aufwärmphase im Heimspiel (3:1) reinkam. Der deutsche Pokalsieger hat zwar am Wochenende den vertragslosen Örjan Nyland, 32, verpflichtet, der zwischen 2015 und 2018 beim FC Ingolstadt auch in der Bundesliga die Bälle hielt, doch um seinen Status als neuer Stammkeeper muss Blaswich nicht fürchten. „Ein erfahrener Torhüter, der seine Rolle kennt“, sagte Rose zu Nyland. Der 40-fache norwegische Nationaltorwart ist (vorerst) nur Backup für den Backup.