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Die Gewinner von Wembley

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Von: Frank Hellmann

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Die Entscheidung: Arjen Robben schießt die Bayern in den Fußballhimmel.
Die Entscheidung: Arjen Robben schießt die Bayern in den Fußballhimmel. © imago images/Shutterstock

Das deutsche Champions-League-Finale jährt sich das zehnte Mal: Was Borussia Dortmund und Bayern München in London ablieferten, war ein Höhepunkt des deutschen Fußballs – und Grundlage für den WM-Titel ein Jahr später.

Es war ein imposantes Bild damals vor zehn Jahren, als die Abendsonne ihre letzten Strahlen in den englischen Prachtbau schickte, der so ganz mit deutschen Insignien geschmückt war. Je drei Flaggen von Borussia Dortmund und Bayern München hingen senkrecht an langen Seilen herunter, oben unterm Dach des Wembley-Stadions leuchteten die Klubwappen der deutschen Branchenführer, die es in dieses Champions-League-Finale geschafft hatten: links der BVB, rechts der FCB. Mittig ein Emblem mit Henkelpott, um den es an diesem 25. Mai 2013 ging. Ein Tag fürs Geschichtsbuch; das ahnten damals viele, die mit leuchtenden Augen auf den heiligen Rasen blickten. Angestrahlt in der einen Kurve die schwarz-gelbe Armada, stimmgewaltig, erwartungsfroh, vielleicht sogar euphorisch. Gegenüber der rot-weiß-rote Anhang, zuversichtlich, aber zurückhaltender, womöglich ein bisschen angespannt.

Es gab keinen klaren Favoriten in diesem deutschen Endspiel vor zehn Jahren, obwohl die Bayern mit 25 Punkten Vorsprung vor Dortmund die Meisterschaft gewonnen hatte. Der BVB, Doublesieger im Jahr davor, hatte immerhin im Halbfinale Real Madrid (4:1, 0:2) besiegt, Bayern sogar den FC Barcelona (4:0, 3:0) beherrscht. Doch die Münchner trugen den Ballast des verlorenen „Finale dahoam“ aus dem Vorjahr noch nach London. Ein Blick auf die zentralen Achsen belegte, dass der BVB damals auf vielen Positionen dem FCB mindestens ebenbürtig war: Robert Lewandowski, Marco Reus und Ilkay Gündogan spielten auf der einen, Mario Mandzukic, Thomas Müller und Abräumer Javi Martinez auf der anderen Seite.

86 298 Fans erlebten in der riesigen Kultstätte ein rassiges Finale, allerbeste Unterhaltung. Schiedsrichter Nicola Rizzoli zückte nur dreimal Gelb, wobei Bayerns Brasilianer Dante Glück hatte, dass er für sein Elfmeterfoul an Reus nicht die zweite Verwarnung kassierte. Gündogan glich nach 68 Minuten per Strafstoß die Bayern-Führung von Mandzukic nach einer Stunde aus. Es ging bis zum Ende in voller Mannstärke rauf und runter. Mit schönen Spielzügen, spektakulären Strafraumszenen, spannenden Zweikämpfen. Und mit erstklassigen Torhütern, deren Großtaten dafür sorgten, dass es nicht 4:4 oder 5:5 endete. Manuel Neuer und Roman Weidenfeller bekamen vom Fachmagazin „Kicker“ beide die Note eins.

Leider erinnern sich die meisten nur noch daran, dass kurz vor Ende ein Ball fast im Zeitlupentempo am konsternierten BVB-Keeper Weidenfeller vorbeirollte, als die Bayern in der Schlussphase immer stärker wurden. Bastian Schweinsteiger („in den ersten 25 Minuten spürte ich den berühmten Rucksack“) fand, die Kugel sei mit „fünf Stundenkilometern“ über die Linie gekullert, was natürlich nicht stimmte. Aber ein strammer Strahl war es nicht, als Franck Ribery – der Glück hatte, dass es damals noch keinen Videobeweis gab, sonst wäre eine Tätlichkeit untersucht worden – und Arjen Robben die Entscheidung aufführten. „Ich reagiere auf Franck (Ribery, d.Red.), er legt mir in den Lauf, ich kann ihn reinschieben“, sagte der Niederländer zum wichtigsten Treffer seiner eindrucksvollen Karriere. 2:1 für die Bayern. In Spielminute 89.

Selbst in der Pressekonferenz schien der Siegtorschütze noch feuchte Augen zu haben – und er strahlte vor Glück. Vom Sündenbock zum Helden. Robben galt bis dahin als Egomane, der vor allem selbst gut aussehen wollte – und mitunter zu viel alleine machte. Er hatte in der Vorsaison einen Elfmeter um die Meisterschaft in Dortmund vergeigt und dann in der Königsklasse im Endspiel gegen den FC Chelsea. Dieser Geniestreich war seine ganz persönliche Versöhnung mit der Geschichte. Noch mehr gönnten viele Fußballfans aber den Erfolg dem Gentleman auf der Trainerbank.

Jupp Heynckes hatte von den Bayern-Bossen die zweite Chance bekommen – das Trauma aus dem Jahr zuvor schweißte zusammen. „Nie in meinem langen Trainerleben habe ich ein Team erlebt, das so professionell, konsequent und ambitioniert auf ein Ziel hingearbeitet hat“, schrieb in einer Kolumne der mit diesem Triumph zunächst in den Ruhestand verabschiedete Heynckes, den die Bayern 2017 noch einmal zurückholen sollte.

Wie der Triple-Trainer mit damals 68 noch Trainingssteuerung und Taktik anpasste nötigte vielen Respekt ab. Auch seinem Gegenüber Jürgen Klopp: „Die Bayern hatten ihren Stil verändert, spielten intensiver, sie waren angestochen und haben eine Schippe draufgepackt.“ Für die Niederlage lieferte die Kultfigur rückblickend eine einfache Erklärung: „In dem Moment, als Robben und Ribery anfingen zu verteidigen und zurückliefen, um mit zu doppeln, waren wir erledigt.“ Da konnten seine Außenspieler Jakub Blaszczykowski und Kevin Großkreutz nicht mithalten. Klopp und Co. trugen viel dazu bei, dass sich auch die Verlierer alsbald als Gewinner fühlen konnten.

Schon im Stadion zeigten die Schwarz-Gelben als Gemeinschaft eine enorme Größe, als Mannschaft und Anhang eine Mischung aus Trotz, Zuversicht und Stolz inszenierten. Dieses Gefühl übertrug sich auf die Feier im riesigen Natural History Museum von London, wo Helene Fischer die meisten der geladenen Gäste schnell ablenkte. Nur die BVB-Profis schlichen teilweise verloren zwischen den prähistorischen Gerippen umher, denn einige ahnten, dass sie sich für immer von einem großen Traum verabschieden mussten. Eigentlich waren sie ja „nicht schlechter gewesen“, sollte der junge Mats Hummels sagen. Kaum ein Wort verlor Torjäger Lewandowski, um den sich Wechselgerüchte rankten und der ein Jahr später ablösefrei nach München wechselte – und dort erst viel später den Henkelpott in den Händen hielt.

Auch Klopp kam noch in den Genuss, obwohl er dafür mit dem FC Liverpool erst noch ein weiteres Finale verlieren musste. Der Tausendsassa auf der Trainerbank hatte wie kein anderer den Siegeszug durch die Königsklasse für sich genutzt. Umso näher der BVB dem Finale in London kam, desto mehr englische Reporter tauchten auf. Und obwohl es eigentlich Übersetzer gab, redete der gebürtige Schwabe immer öfter Englisch. Viele wollten darin eine indirekte Bewerbung für die Premier League erkannt haben – so ist es nur zwei Jahre später auch gekommen.

Am meisten aber sollte vom German Final die deutsche Nationalmannschaft profitieren: Gerade die Bayern-Fraktion um die Anführer Philipp Lahm („wenn man eine goldene Generation werden will, muss man Titel gewinnen“) und Schweinsteiger wertete den Gewinn der Champions League 2013 als entscheidendes Erlebnis, um ein Jahr später mit der DFB-Auswahl unter Joachim Löw auch Weltmeister zu werden. Der deutsche Fußball befand sich auf einem Höhepunkt. Illustriert an einem betörenden 25. Mai vor zehn Jahren in der Kathedrale von Wembley.

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