Die Dortmunder Bessermacher

Sebastian Kehl und Edin Terzic basteln gerade besonders erfolgreich am BVB, dem aber hohe Hürden in London, München und Leipzig im Weg stehen.
Bei Borussia Dortmund haben sie es gewagt, zwei Männern zu vertrauen, die sich noch am Anfang ihres Berufswegs befinden. Edin Terzic, 40, Fußballlehrer, und Sebastian Kehl, 43, Leiter der Lizenzspielerabteilung, schicken sich an, zu Baumeistern einer runderneuerten Mannschaft zu werden. Bisher erledigen sie ihren Job erstaunlich souverän, aber die entscheidenden Wochen stehen jetzt in der Fremde bevor: Am Dienstagabend (21 Uhr/Amazon Prime) in der Champions League beim FC Chelsea in London, am 1. April zur Vorentscheidung im nationalen Titelkampf in München bei den Bayern, vier Tage später im DFB-Pokal-Viertelfinale in Leipzig. Höher könnten die Messlatten kaum liegen.
Sebastian Kehl sieht immer noch so aus, als könnte er an der Stamford Bridge für die Borussia auflaufen. Kehl war Kapitän des Dortmunder Doubleteams 2012. Seit vergangenem Sommer ist der gebürtige Osthesse, Sohn einer Gastronomenfamilie in vierter Generation, Sportchef beim BVB. Langjährigen Beobachtern der Borussia ist aufgefallen: Kehl, 31 Länderspiele unter Rudi Völler und Jürgen Klinsmann, hat gleich in seinem ersten Jahr in der neuen Topposition sehr viele Kompetenzen übertragen bekommen. Ein ganzes Bündel an Verantwortung, das man erstmal wuppen muss. Denn Klubchef Hans-Joachim Watzke ist inzwischen intensiv auch als Aufsichtsratsvorsitzender der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und zentrale Person in der Taskforce zur Erneuerung des deutschen Fußballs beschäftigt, und anders als sein Vorgänger Michael Zorc hat Sebastian Kehl keinen Sebastian Kehl als Azubi mehr an seiner Seite. Es gibt ihn ja nur einmal.
Es gab ein paar Zweifler, die fürchteten, die Fußstapfen von Zorc könnten für Kehl vielleicht zu groß sein. Er hat den Druck natürlich gespürt, und man muss sagen: Bisher hat er ihn ausgehalten. Die bislang ungebrochene Erfolgsserie in diesem Kalenderjahr war dabei sicher hilfreich. Kehl ist anzusehen, dass die Last gerade etwas geringer geworden ist.
Im Sommer wurde er von den Fans gefeiert. Die Verpflichtung der drei deutschen Nationalspieler Niklas Süle, Karim Adeyemi und Nico Schlotterbeck, dazu Königstransfer Sebastien Haller erschien aller Ehren wert, Aber erst erkrankte Haller an Hodenkrebs, dann gingen im Spätherbst Spiele verloren, die so nicht verloren werden durften, und zur zehnwöchigen WM- und Winterpause gastierte der BVB auf Rang sechs.
Gewiss keine einfache Situation für Manager Kehl und Trainer Terzic, die sich aber des bedingungslosen Rückhalts des mächtigen Watzke und dessen Beraters Matthias Sammer sicher sein durften. Gemeinsam suchten sie viele Einzelgespräche, vor allem der ein wenig schwer erziehbare Außenstürmer Adeyemi musste sich ein paar unangenehme Wahrheiten anhören. Offenbar haben Kehl und Terzic dabei den richtigen Ton getroffen.
Watzke war es wichtig, Leute in Spitzenposition zu wissen, die wissen, wie der Klub tickt. Das tun Kehl nach 13 Profijahren in Schwarz-Gelb und Terzic - schon 2010 Jugendtrainer und später Scout beim BVB - ganz zweifelsohne, Sie paaren diese Dortmunder DNA mit im Branchenvergleich überdurchschnittlicher Intelligenz und Fachwissen, was in Kombination regelmäßig in einer Ruhrpott-unüblichen Rhetorik mündet. Wenn Terzic erklärt, man habe sich vorgenommen, „immer wieder das Zentrum zu überladen, um dann unsere Außenverteidiger zu nutzen“, muss das nicht jeder Fan auf der Südtribüne verstehen. Hauptsache, die Spieler tun es. Und das ist derzeit offenkundig der Fall.
Terzic, im nördlichen Sauerland geborener Sohn einer Kroatin und eines Bosniers, hat über die Wintermonate weg viele seiner Profis besser gemacht: Emre Can hat er beigebracht, strategischer Fußball zu spielen, Julian Brandt hat gelernt, sich über die gesamte Spielzeit hinweg zu konzentrieren, Marius Wolf war noch nie so stabil und dynamisch wie gerade jetzt, der derzeit verletzte Adeyemi spielte bis zum Muskelfaserriss wie verwandelt, Nico Schlotterbeck und Niklas Süle haben ihre traditionell auftretenden Nachlässigkeiten eliminiert, und auch die hochsensiblen Personalien Mats Hummels und Marco Reus hat der junge Trainer bisher souverän moderiert. Die beiden verdienten Fachkräfte spielen seltener, als ihnen lieb ist und halten bisher dennoch die Füße still. Der aktuelle Mannschaftserfolg taugt dabei natürlich als Beißhemmer.
Für Kehl stehen gleichwohl komplexe Gespräche bevor. Reus und Hummels, deren Verträge in diesem Sommer auslaufen, gehören zu den Großverdienern, was in Dortmund heißt, dass sie jeweils zweistellige Millionengehälter pro anno überwiesen bekommen. Gerade auch vor dem Hintergrund der Pandemie-Rückstände - Corona kostete der börsennotierten Fußball-Aktiengesellschaft rund 120 Millionen Euro - müssten beide spürbar zurückstecken, konkret vermutlich 50 Prozent. Kehl lässt sich bisher nicht in die Karten schauen, ob er mit einem, beiden oder keinem gedenkt zu verlängern. Mögliche Tendenz: Kapitän Reus, dessen Spielanteile gerade wieder steigen, bleibt, Hummels, zuletzt nur mit geringen Einsatzzeiten, geht.
Kehl will das zeitnah besprechen. Auch auf ein Bleiben des vom FC Liverpool und Real Madrid heiß umworbenen Jude Bellingham hofft er noch zart, andernfalls ist eine dreistellige Millionenablöse fällig, die dem Sportchef Spielraum auf dem Transfermarkt eröffnen würde, wo Kehl sich zuletzt geschickt bewegt hat.
Das tut auf seinem Gebiet auch Terzic, der sich zudem in der vergangenen Saison auf seiner Warteposition als Technischer Direktor wohltuend zurückhielt, um Marco Rose das Trainerleben nicht noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon war. Terzic galt nach seinem vom Pokalsieg gekrönten fünfmonatigen Kurzeinsatz im Frühjahr 2021 von vorne herein als Schattenmann, sollte Rose nicht so performen wie gewünscht. Am Trainingsplatz oder nah an den Medien sah man Terzic in dieser Phase so gut wie nie, auch auf die überraschende Trennung von Rose drangen dem Vernehmen nach weniger Terzic und Kehl als vielmehr Watzke und Sammer.
Sebastian Kehl hat sein anfangs noch etwas moderates Auftreten inzwischen intensiviert. Neulich im ZDF-Sportstudio traute er sich auf die Frage nach Titelambitionen schon ein bisschen in die verbale Offensive, am Montag vorm Abflug nach London verrichtete der Sportchef noch routiniert seine Öffentlichkeitsarbeit am Airport. Man hoffe, „ein Ausrufezeichen nach Europa senden zu können“. Das Viertelfinale der Königsklasse erreichten die Borussen zuletzt vor sechs Jahren.
In Dortmund wissen sie, dass das Spielglück ihnen zuletzt besonders hold war. Das 2:1 gegen RB Leipzig am Freitag und das 1:0 gegen Chelsea im Hinspiel waren alles andere als hochverdiente Siege. Aber gemeinsam haben sie erfahren, dass es sich lohnt, fürs Glück zu schuften. Terzic und Kehl leben das gerade besonders glaubwürdig vor,