DFB-Elf müht sich: Neue deutsche Welle nur auf der Tribüne

DFB-Team gewinnt schmucklos 2:0 gegen Peru, weil Hansi Flick mit Verspätung den Wert von Niclas Füllkrug erkennt.
Zum Ende hin sprangen die Leute Block für Block auf, rissen ihre Arme hoch und schrien „hey“. Man nennt das „La Ola“, die Welle. Es gibt zwei Gründe, weshalb durch ein Fußballstadion „La Ola“ schwappt. Entweder tun die Menschen es aus Begeisterung oder um sich zu beschäftigen. Bei ehrlicher Analyse dürften die Fachleute im Deutschen Fußball-Bund mit Rudi Völler (Sportchef), Bernd Neuendorf (Präsident), Aki Watzke (Ligaboss) und Joachim Löw (Ex-Bundestrainer) vor Ort zur Erkenntnis gekommen sein: Die neue deutsche Welle anlässlich des Länderspiels gegen Peru geschah nicht aus Gründen der kollektiven Glückseligkeit,
Denn das, was die DFB-Elf in der ausverkauften Mainzer Arena darbot, sah verdächtig ähnlich aus wie die Spiele vor und während der WM in Katar, allerdings diesmal garniert mit der Präsenz eines echten Mittelstürmers. Niclas Füllkrug erzielte beim schmucklosen 2:0 (2:0)-Sieg gegen Peru beide Tore so, wie eine klassische Nummer 9 das zu tun pflegt.
Das macht es im Rückblick auf die Weltmeisterschaft noch einmal umso bedauerlicher, dass die Fähigkeiten des in Bestform befindlichen 30-Jährigen nicht ausreichend genutzt wurden. Es war spätestens nach Füllkrugs sehenswertem Jokertor zum Ausgleich gegen Spanien offenkundig, dass der Bremer in der Startelf des letzten Vorrundenspiels gegen Costa Rica zum Toreschießen gebraucht worden wäre. Ein Jammer aus deutscher Sicht, dass das Trainerteam um Hansi Flick das nicht erkannt hatte.
In die 15-monatige Vorbereitung auf die EM 2024 geht Flick nun mit einer neuen Strategie: die der Doppelspitze. Es ist eine Versuchsanordnung, mit der vor allem Füllkrug an der Seite von Marvin Ducksch bei Werder Bremen beste Erfahrungen macht. Zusammen haben die beiden nach 25 Spieltagen 23 Tore erzielt und elf vorgelegt. Auf eine derart beeindruckende Quote kommt kein anderer Bundesligist. Für den ja gerade ohnehin experimentierfreudigen Flick könnte es bedenkenswert sein, den 29-jährigen Ducksch zu nominieren, um die kongeniale Zusammenarbeit aus dem Verein auch aufs Nationalteam zu transportieren.
Timo Werners Defizite
Realistisch erscheint das indes nicht, Flick gehört zu den bekennenden Timo-Werner-Anhängern. Die in vielen Belangen überschaubare Vorstellung des Leipzigers gegen Peru relativierte der Bundestrainer so: „Timo hat viele Wege in die Tiefe gemacht und ist sehr wertvoll für die Mannschaft.“ Auch der spürbar um Bescheidenheit in eigener Sache bemühte Klassensprecher Füllkrug lobte nach seinen Treffern vier und fünf im fünften Länderspiel die Zusammenarbeit: „Ich finde, wir hatten viele gute gegenläufige Bewegungen.“ Unübersehbar ist aber auch, dass dem flinken Werner wiederholt die Gabe zum klugen Kombinieren und die gute Ballverarbeitung beim ersten Kontakt abgeht.
In dieser Fertigkeit offenbarte auch Marius Wolf Defizite, die der Dortmunder durch seine Tempoläufe überkompensierte. Der Debütant im gesetzten Alter von 27 Jahren bereitete das 2:0 mit einer perfekt getunten Flanke vor und holte sich - wie Füllkrug - ein Sonderlob vom Bundestrainer ab.
Dass Flick im ersten Spiel nach der WM-Enttäuschung um ein positives Fazit bemüht war, erscheint nachvollziehbar. Gerade die zu unentschiedene Deckungsarbeit hatte ihm in Katar missfallen. Umso erleichterter war er darüber, dass Peru den Souveränität ausstrahlenden Marc-André ter Stegen kein einziges Mal ernsthaft in Gefahr brachte. „Es tut gut, dass wir 2:0 gewonnen haben. Unser Ziel war es, dass die Null steht“, sagte Flick und schob Worte der Anerkennung für Matthias Ginter und den kurz vor Schluss mit Oberschenkelbeschwerden ausgewechselten Nico Schlotterbeck nach: „Beide Innenverteidiger haben fehlerfrei gespielt.“
Dabei sollte der Bundestrainer jedoch nicht übersehen haben, dass das deutsche Mittelfeld den neben Füllkrug besten Spieler auf dem Platz, André Carrillo, nie zähmen konnte. Der 31-jährige Peruaner offenbarte offene Stellen auf der deutschen Sechser-Position, vor allem, nachdem der defensivere Emre Can zur Pause durch Leon Goretzka ersetzt wurde. Der Münchner positionierte sich - anders als zuvor Can - vor Joshua Kimmich - und wurde vom zunehmend darbenden Spiel verschluckt. Goretzka, Primus beim Confederations Cup 2017, hat in dieser Mannschaft unter Flick noch keine tragende Rolle gefunden, die seinen Fähigkeiten entspricht. Das war schon vor und bei der WM offenkundig.
Goretzka ohne Bindung
Mit Blick auf das nächste Testspiel Dienstagabend in Köln gegen Belgien (20.45 Uhr/RTL) erwartet Flick „ein anderes Kaliber“, ist „froh, dass wir gegen so einen Gegner spielen“ und glaubt, man könne „an seinen Aufgaben auch wachsen“. Ein gewisser Wachstumsschmerz ist gerade im Fall von Goretzka unübersehbar. Die Zusammenarbeit mit Kimmich müsste ja eigentlich gedeihlich verlaufen, beide kennen sich in- und auswendig und kooperieren nicht nur auf dem Fußballplatz dort, wo das Herz einer Mannschaft schlägt, sondern auch bei sozialen Aktivitäten außerhalb. Aber es hakt, sowohl bei den Bayern als auch im Nationaltrikot.
Anders als Kai Havertz, der an beiden Toren in der Vorarbeit mitbeteiligt war, konnte der hochbegabte Florian Wirtz nach anderthalb Jahren Länderspielpause wegen seines Kreuzbandrisses keine Spur hinterlassen. Der 19-jährige Leverkusener verlor mehr Bälle, als er es aufgrund seiner außergewöhnlichen Technik gewohnt ist. Wirtz wurde zur Pause durch den elf Jahre älteren Mario Götze ersetzt. Aber auch der Frankfurter konnte dem, mit Ausnahme eines sehenswerten Volleyschusses von Serge Gnabry an die Latte, zerfasernden Spiel keine Struktur geben. So flüchteten sich die Fans in „La Ola“.