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Deutschland steht im EM-Halbfinale: Ein Sieg für Uwe Seeler

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Von: Frank Hellmann

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Lösen ihre Anspannung mit einem lauten Schrei: Kapitänin Alexandra Popp schwört das DFB-Team ein.
Lösen ihre Anspannung mit einem lauten Schrei: Kapitänin Alexandra Popp schwört das DFB-Team ein. © Sebastian Gollnow/dpa

In die Jubeltänze über das erreichte EM-Halbfinale der deutschen Fußballerinnen mischen sich auch mitfühlende Töne der Bundestrainerin Voss-Tecklenburg.

Das Community Stadium von Brentford direkt an der Bahnstation Kew Bridge werden deutsche Fußballerinnen wohl auf ewig in guter Erinnerung behalten. Weil diese perfekt zu einer Frauen-EM passende Spielstätte tief im Westen von London einen Meilenstein in bessere Zeiten markieren kann: Ein letztes Mal haben hier Kapitänin Alexandra Popp und Kolleginnen nach dem schwer erkämpften Viertelfinalsieg gegen Österreich (2:0) einen ausgiebigen Jubeltanz zu den Klängen des Rednex-Klassikers „Cotton Eye Joe“ aufgeführt, wobei sich die zur Spielerin des Spiels gewählte Klara Bühl über die Kraft wunderte, die alle beim Hüpfen und Singen noch aufbrachten, ehe es im Teamhotel bei Pita-Taschen mit Falafel und Salat wieder ruhiger zuging: „Ich weiß nicht, woher die Energie kommt. Aber es ist irgendwie noch einmal eine andere Muskelgruppe.“

Zuvorderst war es Kopfsache, dass das Ensemble anders als bei der EM 2017 gegen Dänemark (1:2) und WM 2019 gegen Schweden (1:2) nicht wieder nach einem identischen Muster an dieser Turnierschwelle strauchelte. Widerstandskraft und Behauptungswille erzwingen am Ende auch das Spielglück, denn nach Aluminiumtreffern hatten die DFB-Frauen ja 2:3 verloren. Dennoch stehen sie mit einer makellosen EM-Bilanz mit vier Siegen ohne Gegentor erstmals seit den Olympischen Spielen 2016 nicht zufällig unter den besten Vier.

Klar, dass Martina Voss-Tecklenburg nach einem „sehr intensiven Spiel gegen einen sehr hartnäckigen Gegner“ stolz und glücklich war. Letztlich gibt es in den K.o.-Runden von Turnieren keinerlei Schönheitspreise zu gewinnen – das Weiterkommen zählt. Bei Männern wie Frauen.

Die 54-Jährige hat für den Deutschen Fußball-Bund (DFB) und die Öffentlichkeit bewiesen, dass sie hohe Vorgaben erfüllen kann. „Wenn ich die Worte von Oliver Bierhoff nehme, dass es unser Anspruch ist, unter die letzten Vier zu kommen bei großen Turnieren, dann haben wir das erst mal geschafft“, sagte sie. „Nichtsdestotrotz wollen wir auch dieses Halbfinale gewinnen, egal, gegen wen es geht. Wir wissen aber auch, dass es der nächste große Schritt wird.“

Am nächsten Mittwoch in der wenig ansehnlichen Planstadt Milton Keynes werden entweder Mitfavorit Frankreich oder Titelverteidiger Niederlande der Gegner sein. Die beiden Mannschaften duellieren sich am Samstagabend - und haben damit 48 Stunden weniger Vorbereitungszeit aufs Halbfinale.

TV-Rekord

Die Liveübertragung vom 2:0-Sieg ist nur knapp an der Zehn-Millionen-Grenze gescheitert. 9,5 Millionen Menschen sahen am Donnerstagabend in der ARD den Einzug ins EM-Halbfinale, sorgten für einen Marktanteil von 38,2 Prozent und einen Rekord. Das Spiel war nach Angaben der AGF-Videoforschung die erfolgreichste TV-Sendung des Tages und erzielte die bisher beste Reichweite eines EM-Spiels der Frauen im deutschen Fernsehen. dpa

Alle träumen in der deutschen Delegation vom Finale in Wembley am 31. Juli. Wie sich hier eine Begegnung vor riesiger Kulisse gegen England anfühlt, weiß Stürmerin Bühl noch genau. Beim Freundschaftsspiel am 9. November 2019 erzielte sie kurz vor Schluss das 2:1-Siegtor. Bevor es zur Wiederauflage des Klassikers kommt, müssen beide erst noch einmal gewinnen.

Die Bundestrainerin fand den Halbfinaleinzug alles in allem „verdient“. Voss-Tecklenburg sagte aber auch: „Kompliment an Österreich“. Deren Teamchefin Irene Fuhrmann tröstete sich damit, „gegen ein absolutes Weltklasseteam“ verloren zu haben. Letztlich brachten individuelle Fehler von Kapitänin Carina Wenninger (ließ sich von Bühl vor dem 0:1 durch Lina Magull den Ball abluchsen) und Keeperin Manuela Zinsberger (schoss zum 0:2 die heranstürmende Popp an) den tapferen Außenseiter auf die Verliererstraße.

Während sich die deutsche Torschützin diebisch freute („Jeder hat gedacht, dass wir nichts reißen“), rollten der österreichischen Torhüterin („Das Turnier ist für uns vorbei, schwer für uns zu akzeptieren“) unentwegt Tränen über die Wangen. „Von einem „dreckigen Sieg“ sprach Trohüterin Merle Frohms, die trotz kleiner Wackler dank Pfosten und Latte weiter ihre weiße Weste bewahrte. „Wir haben gerade ein Weltklasseteam“, sagte die 27-Jährige, der Tobias Haupt, DFB-Akademieleiter und ehemaliger Torwart, in diesem Turnier eine „Weltklasseleistung“ attestiert. Auf demselben Level ist auch Lena Oberdorf unterwegs, die dem robusten Gegner in jeder Phase mit ihrer Zweikampfführung die Stirn bot. Die Defensivlust einer 20-Jährigen illustriert den größten Wandel im DFB-Ensemble, das sich von einer bisweilen launigen Spielmacherin Dzsenifer Marozsan (Kreuzbandriss) völlig emanzipiert hat.

DFB-Generalsekretärin Heike Ullrich war sich als Augenzeugin am Donnerstagabend sicher, dass dieser Erfolg „keine Eintagsfliege“ bleiben wird. Denn: „Dieses Team kommt in einer besonderen Art und Weise mit ganz unterschiedlichen Widerständen klar.“

Dazu gehörte auch der Umgang mit der Hiobsbotschaft vom Tod von Uwe Seeler. Voss-Tecklenburg sprach offen über die Verbindungen zur verstorbenen Ikone. Sie habe das Glück gehabt, Seeler und seine Familie mehrfach zu treffen, „aber wir haben mit unserem Physiotherapeuten Kristof Meyer jemandem im Staff, der sehr eng mit ihm in Hamburg zusammengearbeitet hat.“

Die Kunde von Seelers Ableben sei direkt nach einer Besprechung eingetroffen – und es sei danach nicht ganz einfach gewesen, „den Fokus aufs Spiel zurückzugewinnen“. Die Bundestrainerin schaffte in der Pressekonferenz eine angemessene Einordnung von zwei emotionalen Ereignissen: „Mein Beileid gilt der Familie, meinen großen Respekt für Uwe Seeler, der nicht nur ein fantastischer Fußballer, sondern auch ein fantastischer Mensch war. Von daher war es ein besonderer Tag, mit einer traurigen Nachricht, aber auch mit dem Wissen, dass wir ihm vielleicht auch ein Stück weit trotzdem noch Freude bereiten konnten.“ Ein besseres Schlusswort hätte es in dieser Nacht nicht geben können.

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