Gute Jungs, aber nicht gut genug

Aus dem deutschen U-21-Nationalteam drängt gerade niemand vehement hoch zur Auswahl von Joachim Löw. Am Dienstag geht es gegen Belgien.
Uiuiui, wie die Zeit doch vergeht: Volle vier Jahre lang ist Stefan Kuntz nun schon Trainer der deutschen U-21-Nationalmannschaft, und man muss sagen: Der noch immer sehr jugendlich daherkommende 56-Jährige kann gut mit den jungen Hüpfern umgehen und macht dementsprechend einen klasse Job – inklusive EM- und Vize-EM-Titel 2017 und 2019. Aber zaubern kann auch der ehemalige Vollblut-Mittelstürmer und Ex-Boss des 1. FC Kaiserslautern nicht. Also dürfte es mutmaßlich mit einer erneuten Finalteilnahme 2021 eher nichts werden. Oder etwa doch?
Erst einmal müssen sich die jungen Kerle für die wegen Corona im kommenden Frühjahr in zwei Teile gesplitteten Endrundenturniere in Slowenien und Ungarn qualifizieren, und um ehrlich zu sein: Das wird verdammt schwierig. Denn dafür wäre nach dem routinemäßigen 4:1 gegen Moldau vom Donnerstag in Wiesbaden ein Sieg am Dienstagnachmittag (16 Uhr, ProSieben Maxx) in Belgien fast schon Bedingung. Andernfalls drohen als Gruppenzweiter unangenehme Playoff-Spiele. Das Hinspiel gegen die wieselflinken Belgier, seinerzeit noch im picke-packe vollen Freiburger Stadion, ging 2:3 verloren. Die Gäste waren damals die klar zielgerichtetere Mannschaft. Wird also schwierig am Dienstag.
Zumal die deutschen Jahrgänge 1998 und jünger mit Toptalenten nicht eben gesegnet sind. Auch im dann folgenden U-20-Team mit den ersten im neuen Jahrtausend geborenen Jahrgängen sucht man angestrengt nach den Juwelen, die Teenager verloren unter der Woche sogar daheim in Norderstedt gegen Dänemark 1:2, währen sich die deutsche U19 zu einem 1:1 in Polen mühte. Schuld daran sind weniger die Spieler selbst, als vielmehr eine Ausbildung, die auf die falschen Schwerpunkte setzte: zu wenig Raum für Individualität, zu viel taktische Fesseln.
Kuntz hatte sich in den ersten Jahren seiner Tätigkeit stets präzise mit Bundestrainer Joachim Löw absprechen müssen. „Es gab Zeiten, da wurde heftig debattiert, wer unten bleibt bei der U21 und wer hochgeht. Diese Diskussionen führen wir derzeit nicht“, sagt der zuständige Sportliche Leiter der Nationalmannschaft, der Frankfurter Joti Chatzialexiou. Im DFB wissen sie längst um die aktuellen Defizite, die Youngster sind gewiss nicht schlecht, aber gerade auch nicht gut genug, um kollektiv zu regelmäßigen Erstliga-Einsatzzeiten zu kommen. In England, Spanien und Italien ist das derzeit anders, dort bekommen die besser ausgebildeten Toptalente mehr Praxis in ihren Klubs.
In Deutschland war das auch mal so: 2017 trug es sich zum Beispiel zu, dass Kuntz U-21-Europameister in Polen mit den späteren A-Nationalspielern Thilo Kehrer und Serge Gnabry wurde, obwohl er auf die gleichzeitig beim Confederations Cup in Russland benötigten Timo Werner, Leon Goretzka, Joshua Kimmich, Julian Brandt und Niklas Süle verzichten musste. Leroy Sané sagte seinerzeit zum Verdruss von Löw der Einfachheit halber gleich für beide Turniere ab. Vergangene Zeiten, besonders wertvolle Jahrgänge 1995 und 1996!
Die aktuellen Spieler der U21, angeführt von Kapitän Arne Maier (Hertha BSC), heißen Salih Özcan, Amos Pieper oder Robin Hack und sind eher regionale Helden. „Alles gute Jungs, die sich entwickeln“, sagt Chatzialexiou, aber eben keine Spieler der Gewichtsklasse Kimmich, Goretzka, Werner, Süle oder Sonderfall Kai Havertz, der das U-21-Team wegen seiner Hochbegabung direkt übersprang.
Und dann gibt es da noch Ridle Baku, 22 Jahre alt, in Mainz geboren, von Ex-05-Trainer Sandro Schwarz zum Stammspieler beim FSV befördert, ehrgeizig, wissbegierig. „Ridle hat eine Hammer-Entwicklung genommen, er arbeitet super, hat einen tollen Charakter und einen klaren Kopf, er schlägt gute Flanken und weiß, wann er in welche Räume zu gehen hat“, analysiert Chatzialexiou.
In Wiesbaden beim 4:1 gegen Moldau war das gut zu erkennen. Der kompakt gebaute Baku könnte auf der Rechtsverteidigerposition, wo die A-Nationalmannschaft seit Kimmichs Versetzung ins defensive Mittelfeld nicht mehr top-besetzt ist, eine Alternative werden. In diesem Sommer hat er gemeinsam mit seinem für den Zweitligisten Holstein Kiel spielenden Zwillingsbruder Makana „Rudi“ Baku, beide in Mainz geborene junge Männer mit deutschen und kongolesischen Wurzeln, eigens ein anstrengendes Übungsprogramm bei einem Individualtrainer belegt. DFB-Mann Chatzialexiou findet so viel Ehrgeiz super.
Stefan Kuntz werkelt derweil emsig an einer Strategie, um den flinken Belgiern im Showdown um die EM-Qualifikation beizukommen. „Die Belgier“, sagt Chatzialexiou, „werden uns wehtun“. „Und wir“, fügt Kuntz mit seinem typischen listigen Lächeln hinzu, „wollen ihnen auch wehtun.“