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Der FC Chelsea ist ein verwirrter Fußballverein

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Von: Jakob Böllhoff

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Chelsea steckt in der Krise: Kai Havertz und Frank Lampard sollen das ändern. Foto: AFP
Chelsea steckt in der Krise: Kai Havertz und Frank Lampard sollen das ändern. Foto: AFP © afp

Seit Milliardär Todd Boehly den FC Chelsea gekauft hat, geht es drunter und drüber beim Londoner Traditionsklub. Dass nun ausgerechnet Trainer Frank Lampard den Erfolg zurückbringen soll, ist nur schwer zu glauben,

Der FC Chelsea sollte darüber nachdenken, seine Vereinshymne zu ändern. „Circle of Life“ würde sich anbieten, die Titelmusik des Disneyklassikers „Der König der Löwen“, was zum einen perfekt passen würde zum Wappentier des Londoner Fußballklubs, einem brüllenden Löwen mit Stab in der Pfote. Und zum anderen muss es den Chelsea-Fans zurzeit vorkommen, als wären sie in einem Kreislauf gefangen, einem kapitalistischen Kreislauf, in dem kein Anfang zu finden ist, kein Ende, und sich alles wiederholt, so ist das moderne Leben. Frank, bist du es wirklich?

Die Rückkehr von Vereinslegende Frank Lampard auf den Trainerposten dieses offensichtlich schwer verwirrten Fußballvereins ist, je nach Perspektive, verwundernd oder belustigend oder bestürzend oder alles auf einmal. Um das klarzustellen: Chelsea hat jenen Coach wieder eingestellt, den sie vor gut zwei Jahren wegen anhaltender Erfolglosigkeit rausgeworfen hatten, um ihn ersetzen zu können durch jenen Trainer (Thomas Tuchel), der dann wiederum vor die Tür gesetzt wurde, damit derjenige (Graham Potter) übernehmen konnte, der nun wegen nicht enden wollender Erfolglosigkeit seinen Job verlor, wodurch also, als Teil eines „klaren und stabilen Planes“, wie Chelsea wirklich mitteilte, Frank Lampard zurückkam, zunächst einmal bis Saisonende.

War ja abzusehen, dass mit dem neuen Besitzer aus den USA, Todd Boehly, eine gewisse Hire-and-fire-Mentalität Einzug halten würde bei Chelsea. So sind sie halt, die Amis. Aber dass es so krass werden würde, damit hätten wohl nicht mal notorischste Kulturpessimisten gerechnet. Leute, die es wissen müssen, sagen, dass der Klub, der an diesem Dienstag, (21 Uhr) zum Viertelfinal-Rückspiel in der Champions League bei Real Madrid antritt, so gut wie nichts mehr mit dem gemein hat, den der Milliardär Boehly vor knapp einem Jahr vom russischen Oligarchen Roman Abramowitsch übernommen hat. Die Leute meinen das nicht in einem positiven Sinn.

Und Thomas Tuchel, inzwischen Trainer beim FC Bayern, gesteht offenherzig, dass ihm der radikale Wandel bei seinem Ex-Klub half, den Abschiedsschmerz von seinem liebgewonnen Arbeitsplatz zu überwinden. Das, was er so liebgewonnen hat, gibt’s ja nicht mehr.

Dass Chelsea unter Boehly wie wahnsinnig Spieler einkauft, hätte Tuchel vermutlich noch gefallen. 355 Millionen Euro haben die Blues in nicht mal einem Jahr in neues Personal investiert. Beträge jenseits der 100 Millionen scheinen zur Regel zu werden.

Doch der Erfolg bleibt aus, zumindest im Tagesgeschäft. Elfter ist Chelsea in der Tabelle der Premier League. Der Anspruch ist die Meisterschaft. Eine Entwicklung, die Graham Potter den Job gekostet hat, und die Vermutung, dass mit Tuchel, der den Klub 2021 schnell revitalisierte und gleich zum Champions-League-Titel führte, alles anders gelaufen wäre, ist keineswegs verwegen.

So jetzt: Zurück auf Los. Ausgerechnet mit Frank Lampard, von dem Tuchel einst eine gelähmte Mannschaft übernommen hatte. Es ist absurd.

Der Re-Start unter Lampard, der als Profi 648 Mal das Chelsea-Trikot trug, ist auch in der Premier League gleich mal misslungen. Niederlage beim Abstiegskandidaten Wolverhampton Wanderers, 0:1, Niederlage daheim gegen Brighton, 1:2. Aber auch schon egal. Die Premier-League-Saison hat nichts mehr zu bieten für den Klub, nur noch die Champions League zählt. Ein Erfolg in der Königsklasse – und schon der Halbfinaleinzug gegen Real Madrid wäre ein Erfolg – würde vieles relativieren, was zuvor geschehen ist, den ganzen Quatsch, den ganzen Boehly-Irrsinn. Der Titel würde alles relativieren.

Wie das klappen soll, ist allerdings schleierhaft. Madrid ist erst Recht nach dem 2:0 im Hinspiel der große Favorit, eine stattliche, erfahrene Mannschaft mit einem stattlichen, erfahrenen Trainer, Carlo Ancelotti. Das Gegenteil des FC Chelsea also. Lampard schöpft Hoffnung in der Vergangenheit, seiner eigenen, die ein gutes Stück weit ja auch die seines Klub ist. Der 44-Jährige erinnerte sein Team an die Erfolgsgeschichte 2012, als er sich als Mittelfeldantreiber mit den Blues als krasser Außenseiter ins Finale kämpfte – und am Ende Bayern München niederrang, in München. „Eine Mannschaft wird immer durch schwierige Momente gehen, um zu großen Momenten zu gelangen“, sagte Lampard.

Und doch: Zu Hause, an der Stamford Bridge, ist sowieso alles möglich, wenn das Flutlicht angeht und aus den Lautsprechern die Vereinshymne dröhnt, die der FC Chelsea natürlich auf gar keinen Fall ändern darf. Reggae-Klassiker von den Harry J. Allstars: „The Liquidator“. Zu deutsch: Der Abwickler.

Passt schon.

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