Der VAR hat sein Ziel verfehlt

Es gibt auch nach Einführung der Hilfe via Video keine absolute Gerechtigkeit im Profifußball. Weil das Spiel dazu viel zu komplex ist. Ein Kommentar.
Wir Sportredakteure ertappen uns in unseren Konferenzen am Sonntagmorgen regelmäßig dabei, dass wir viel zu viel über den Video Assistant Referee diskutieren und viel zu wenig über den Bundesligafußball an sich. Und so füllt sich auch diese Spalte wieder mit einer Debatte, die es eigentlich gar nicht mehr geben sollte, seit hierzulande der technisch und personell aufwendige und somit nicht ganz billige Keller mit Dutzenden Bildschirmen in Köln-Deutz eingerichtet worden ist. Fünfeinhalb Jahre ist das inzwischen her. Und man muss es so deutlich sagen: Das von der Öffentlichkeit und den damaligen Schiedsrichterverantwortlichen erwartete Ziel wurde bislang grandios verfehlt. Es gibt auch nach Einführung der Hilfe via Video keine absolute Gerechtigkeit im Profifußball. Weil das Spiel dazu viel zu komplex ist, weil es selten schwarz und weiß und stattdessen viele, viele Grautöne zu verarbeiten gibt, die jeder Mensch unterschiedlich wahrnimmt.
Ehrlicherweise müssen sich alle Beteiligten eingestehen: Wir alle sind kolossal überfordert mit dem VAR. Das betrifft keinesfalls nur die Unparteiischen, sondern auch die Trainer, die Fans und die Medien. Mal heißt es: Wieso schickt der Keller den Schiri überhaupt raus in die Review Zone an den Bildschirm? Die Szene war doch keine hundertprozentige Fehlentscheidung! Andersherum wird gern auch argumentiert: Weshalb ist dem Schiedsrichter aus dem Keller kein Zeichen gegeben worden, sich die Situation noch einmal anzuschauen? Wie man´s tut - man macht es falsch.
Auch an diesem Wochenende haben sich wieder ein paar Szenarien unter Beteiligung von Videoassistenten ereignet, die den Puls des Publikums, vor allem aber der betroffenen Fußballlehrer Bruno Labbadia (Stuttgart) und Marco Rose (Leipzig), in ungesunde Bereiche trieben. Beide Fußballlehrer haben mit ihren Mannschaften bedeutende Spiele verloren. Labbadia regte sich mächtig über den VAR auf, dabei wäre es angebracht gewesen, vor allem den eigenen Abwehrspieler Dan-Axel Zagadou zu kritisieren, der beide Strafstöße durch unsachgemäßes Einsteigen verursacht hatte.
Tags darauf gingen die Diskussionen in den einschlägigen Fußball-Fernsehstammtischen weiter, ebenso wie in der Redaktionskonferenz unserer Zeitung. Einigkeit wurde dabei keineswegs erzielt, auch nicht darüber, den VAR ersatzlos wieder zu streichen, um dem ganzen großen Palaver künftig aus dem Wege zu gehen. Denn dann, darüber müssen wir uns klar sein, würde ein vom Schiedsrichter übersehenes Handspiel mit Torfolge wie jenes der „Hand Gottes“ von Diego Maradona, das der ganzen Welt dank der TV-Übertragung nicht verborgen geblieben ist, wieder als astreiner Treffer gelten. Alle wären schlau, nur der Schiri wäre der Dumme.