Dribbler gesucht

Hermann Gerlands Wort hat Gewicht im deutschen Fußball. Wenn der Co-Trainer der U21-Nationalmannschaft sagt, dass in der Talenteausbildung etwas nicht stimmt, ist das alarmierend. Der Kommentar.
Einmal hat Frau Gerland Zweifel gehabt an der Urteilsfähigkeit ihres Mannes, das ist bald 20 Jahre her. Es ging um Philipp Lahm, seinerzeit zarte 19 Jahre, aber er sah aus wie 15. Herr Gerland fand ihn damals toll, seine Frau weniger, „vertust du dich bei ihm nicht“, hat sie gefragt. Herr Gerland war sicher: „Ich werde Volleyballspieler, wenn das kein Superspieler wird“, hat er geantwortet. Und natürlich Recht behalten.
Er hat oft Recht behalten, der Hermann Gerland, ein oft etwas bärbeißig daherkommender Grantler, Typ harte Schale, weicher Kern, was insofern gut ist, weil ja niemand seine Qualitäten als Volleyballspieler kennt. Vielleicht sind sie ja so mäßig ausgeprägt wie jene an der Tafel oder bei der Bedienung des Powerpoints, Dinge also, die der „Tiger“ genannte Fußballsachverständige nicht kann. Aber „ich kann sehen, ob einer dribbeln kann. Ich kann sehen, ob einer laufen kann. Und ich kann sehen, ob einer köpfen kann.“ Genau deswegen steht Gerland nicht am Netz, sondern kümmert sich beim DFB als Talenteförderer um den Nachwuchs bei der U21, die gerade nebulös 0:4 vermöbelt wurde, und war zuvor zweieinhalb Jahrzehnte bei Bayern München.
Und weil der Mann, inzwischen 67 und nicht müde, sehen kann, was falsch läuft im Fußball, legt er wortreich den Finger in die Wunde. Zu tun gibt es eine Menge, ganz grundsätzlich müsse an verschiedenen Stellschrauben gedreht werden, vor allem: Es braucht mehr Individualität. In den letzten Jahren ist in den Leistungzentren, ist in der Nachwuchsarbeit zu sehr Wert gelegt worden auf Lösungen, die im Mannschaftsverbund gefunden werden sollten. Dabei wurden elementare Dinge des Fußballs vernachlässigt, etwa das Dribbling in Eins-gegen-Eins-Situationen. Bei Gerland hört sich das so an: „Wenn ich immer sage Pass, Pass, Pass und jedes Spiel mit zwei Kontakten mache, dann kann ich keine Dribbler entwickeln.“ Wer kann denn in der DFB-Auswahl noch richtig dribbeln? Leroy Sané mal ausgenommen? Kaum einer.
Diese Forderung ist nicht neu. Es ist längst erkannt, dass in der Förderung umgedacht werden muss, weg von der Uniformität der Spieler, die alle taktisch bestens geschult und verschieben, aber keinen Gegenspieler mehr ausspielen können. Hin zu mehr Kreativität, zu Überraschendem, um dadurch neue Spielsituationen zu provozieren, weniger ausrechenbar zu sein. Das geht natürlich nicht über Nacht, es ist ein Prozess, mutmaßlich ein länger währender. Aber wenn sich Tiger Gerland dahinter klemmt und in seinem alten, neuen Chef einen Bruder im Geist hat, ist man zumindest auf dem richtigen Weg. Und dann bräuchte man halt auch Mittelstürmer. Im Idealfall solche, die dribbeln können.