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Niederlande im Achtelfinale der EM 2021: Der Systemwechsel

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Von: Frank Hellmann

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Verstehen sich: Memphis Depay, Frank de Boer. Foto: AFP
Verstehen sich: Memphis Depay, Frank de Boer. © AFP

Warum Trainer Frank de Boer die in den Niederlanden eigentlich heilige 4-3-3-Ausrichtung verändert hat und warum das bei der EM 2021 bisher gut klappt.

Der Königliche Niederländische Fußball-Verband, kurz KNVB, verkündet die Zahl mit einem gewissen Stolz: 7000 Landsleute haben sich ein Ticket gesichert, um das Achtelfinale der EM 2021 zwischen der Niederlande gegen Tschechien (Sonntag 18 Uhr/ ARD) in Budapest in der Puskas-Arena zu verfolgen. Zwar sind es bis in die ungarische Hauptstadt vom Amsterdam aus stolze 1400 Kilometer, aber so etwas hat Anhänger der „Oranjes“ noch nie abgehalten. Und Unterstützung in einem der umstrittensten Spielorte des Turniers kann ja nicht schaden, wenn es nach dem niederländischen Assistenzcoach Ruud van Nistelrooy geht: „Gerade in einer Zeit, in der wir alle unsere Freunde und Familie nicht sehen können, geben uns die Fans in einem vollen Stadion Hoffnung.“

Die Mittelstürmer-Legende, die in 70 Länderspielen immerhin 35 Tore schoss und im Spätherbst der Karriere auch noch für den Hamburger SV stürmte, trägt inzwischen zwar einen Bart, kommt aber immer noch smart rüber – und spielt in der Vorbereitung auf das erste K.o.-Duell einer Europameisterschaft seit 13 Jahren wieder eine Schlüsselrolle. „Jetzt ist mehr Druck. Du kannst keinen Fehler mehr ausbügeln. Es geht um alles oder nichts“, mahnte der einstige Weltklassemann. Ihn hat der frühere Defensivkönner Frank de Boer ganz bewusst eingebunden, um gegen die Tschechen auch gleich den Fluch der Vergangenheit zu besiegen.

Nicht zu viel Rotation

Beide gehörten in ihrer aktiven Zeit zu den Eckpfeilern einer großen Generation, der aber zu häufig im entscheidenden Moment die Knie schlotterten, die Nerven versagten – oder die irgendwie im Überschwang den Fokus verlor. Nach dem Traumtor von Marco van Basten im Finale, das mit dem EM-Triumph von 1988 verknüpft ist und in jedem Trailer bei den EM-Partien über die Videowände flimmert, ging bei Europameisterschaften nicht mehr viel. Beim mit Belgien ausgerichteten Heimturnier 2000 war der Rausch im Halbfinale gegen Italien vorbei, 2004 scheiterten Edgar Davids oder Clarence Seedorf am Gastgeber Portugal, 2008 gab’s im Viertelfinale gegen Russland eine böse Überraschung, 2012 blieb die Elftal in der Vorrunde hängen, und 2016 war man gar nicht mehr qualifiziert.

VerbandKoninklijke Nederlandse Voetbal Bond
(Königlicher Niederländischer Fußballbund, KNVB)
Gründung8. Dezember 1889
PräsidentJust Spee
HauptsitzZeist, Niederlande

De Boer, 51, und van Nistelrooy, 44, sind nun diejenigen, die gegenüber der aktuellen Generation um Ausnahmestürmer Memphis Depay, 27, immer wieder den warnenden Zeigefinger heben. Eindringliche Mahnung: Meriten aus der Gruppenphase verflüchtigen sich schneller als jedes in Holland erhältliche Rauschmittel.

Es war ein Gemeinschaftswerk der beiden alten Kämpen, im eigentlich bedeutungslosen dritten Gruppenspiel gegen Nordmazedonien (3:0) nach der bereits durch die Siege gegen die Ukraine (3:2) und Österreich (2:0) sicheren Qualifikation fürs Achtelfinale nicht die ganze Mannschaft zu tauschen – so hatte es der einstige Nationalcoach Marco van Basten 2008 in der Schweiz gemacht. Mit bekanntlich bösem Ende in der Verlängerung. Van Nistelrooy riet aus eigener Erfahrung davon ab – und dankte de Boer am Freitag für sein Mitspracherecht: „Frank ist ein Trainer, der uns alle mitnimmt, das ist fantastisch. Er bringt alle Infos zusammen und trifft dann die Entscheidung.“

Mehr Flexibilität

Darunter sind auch unpopuläre Entschlüsse, um das Ensemble von dem Ruf als Wundertüre zu erlösen. Ungeachtet aller Kritik hat de Boer dem eigentlich heiligen 4-3-3-System abgeschworen. Da können noch so viele Kleinflugzeuge am Himmel Transparente durch die Luft ziehen – vom 5-3-2 mit den extrem hochstehenden Flügeln wird er nicht mehr lassen.

Er will partout mehr Flexibilität als zu seiner aktiven Zeit, in der er es der gerne unterschätzte de Boer auf stolze 112 Länderspiele brachte. Mehr weisen allein Wesley Sneijder (134) und Edwin van der Sar (130) auf. Auch jetzt hat der Sturkopf als Trainer schon wieder mehr erreicht, als ihm viele zugetraut haben. Und die Party soll am Wochenende in Budapest noch nicht vorbei sein. (Frank Hellmann)

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