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Der Solist

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Von: Daniel Schmitt

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Schnell wie der Wind. Raffael Leao, Stürmer beim AC Mailand. Foto: Imago Images
Schnell wie der Wind. Raffael Leao, Stürmer beim AC Mailand. Foto: Imago Images © IMAGO/Beautiful Sports

Mit 23 Jahren schultert Stürmer Rafael Leao das Spiel des AC Mailand. Nun will er die Rossoneri im Stadtderby gegen Inter ins Königsklassen-Finale führen.

Diese eine angsteinflößende Erfahrung haben sie tatsächlich gemeinsam gemacht, die ansonsten in ihren Karrieren längst meilenweit auseinander liegenden Fußballer Bas Dost und Rafael Leao. 2018 war das, da bekamen der einstige Bundesligaprofi aus Wolfsburg und Frankfurt, der seine Laufbahn noch immer recht torreich ausklingen lässt in den Niederlanden beim FC Utrecht (neun Treffer in 22 Spielen), und der Offensivstar des Champions-League-Halbfinalisten AC Mailand eine übergezogen. Nicht etwa im übertragenen Sinne, sondern wahrhaftig.

Die Ultras von Sporting Lissabon waren eingedrungen ins Trainingszentrum des portugiesischen Klubs und wandelten ihren Frust über miese Ergebnisse der Mannschaft in Gewalt um. Sie zerstörten Inventar, und - natürlich schlimmer - attackierten neun Profis körperlich, die ihnen eher zufällig über den Weg liefen. Darunter: Bas Dost und Rafael Leao. Kein schöner Tag für beide, überhaupt nicht, einer, der „mir für immer in Erinnerung bleiben wird“, wie Dost einmal sagte. Der rein sportlich betrachtet aber gerade der Karriere von dessen Ex-Kollege Leao einen entscheidenden Schub gab - zum Positiven.

Rafael Alexandre da Conceicao Leao, so der komplette Name des 23 Jahre alten Portugiesen, war schon damals ein Riesentalent, mit 18. Aber eines, das noch viel lernen musste. Leao spielte unbeholfenen Fußball, jugendlich unbekümmert, aber ziellos. Obendrein hatte er, der in einer achtköpfigen Familie und unter schweren Bedingungen aufwuchs, abseits des Platzes einige Flausen im Kopf.

Nach der Attacke also ergriff er die Flucht aus Lissabon, seiner Heimatstadt, von Sporting, seinem Heimatklub, für den er ab dem neunten Lebensjahr kickte. Er kündigte den Vertrag. Es folgte ein Wechsel nach Frankreich, nach Lille, ablösefrei aufgrund des Vorfalls, was im Nachgang gerichtliche Auseinandersetzung zur Folge hatte, bei der Sporting Recht und doch ein paar Millionen Euro an Entschädigung bekam.

Der Weg von Rafael Leao aber, der an diesem Mittwoch (21 Uhr/Dazn) mit dem AC Mailand zum Hinspiel im Champions-League-Halbfinale gegen den Stadtrivalen Inter antritt, sollte eine Oberschenkelblessur dies wie erwartet zulassen, ging seitdem bergauf. Er entwickelte sich, reifte, spielte besser, zielstrebiger, erzielte Tore und schaffte nur zwölf Monate später den Sprung nach Italien. 30 Millionen Euro ließen sich die Mailänder die Dienste des Offensivjuwels kosten - bestens investiertes Geld.

„Wir alle genießen ihn“

Heute nämlich ist Leao ein Riesending, eine der heißesten Aktien im europäischen Fußball, vor allem auf Sicht. Trotz seiner 1,88 Meter Körperlänge und den breiten Schultern ist Leao zu Fuß erstaunlich schnell unterwegs, meist ist er der schnellste Spieler auf den Feld. Hat er freien Rasen vor sich, nicht mal sonderlich viel, pflügt er über diesen hinweg. Unwiderstehlich wie sonst wohl nur Kylian Mbappé, der König des Tempodribblings.

Mitte April zum Beispiel ließ Leao das Stadio Diego Maradona zu Neapel verstummen, als er, der Linksaußen, im Viertelfinalhinspiel der Königsklasse mit raumgreifenden Schritten am ersten, zweiten und dritten Neapolitaner vorbeisprintete und schließlich, nach 70 Metern, den besser postierten Mitspieler Olivier Giroud fand. „Der magische Rafa“ titelten die italienischen Gazetten, wenngleich derartige Soli zum ständigen Rüstzeug des Mannes mit angolanischen Wurzeln gehören. Auch im Rückspiel gegen Neapel (1:1) steuerte er einen Assist bei.

„Wir alle genießen ihn“, sagt der Mailänder Trainer Stefano Pioli, der viel Arbeit in den jungen Mann gesteckt hat, der etwa den ehemaligen Frankfurter Büffel Ante Rebic längst und dauerhaft auf die Ersatzbank verdrängt hat. Denn Leao schlug nicht sofort ein in Mailand. „Ich hatte das Gefühl, dass ich dem Druck nicht gewachsen war“, gab er mal selbst zu: „Ich war nicht in der Lage, ein gutes Spiel zu machen.“ Er bekam sein Talent nicht in die richtigen Bahnen gelegt. Er dribbelte, wenn er hätte passen müssen. Er trickste, wenn er nicht tricksen hätte sollen. Er verfing sich in seinem eigenen Talent. Bis er explodierte. „So genau weiß ich auch nicht, wie das auf einmal passiert ist“, sagt er.

In der vergangenen Saison, als die Rossoneri den Scudetto holten, trug Leao 21 Scorerpunkte zum Titel bei, wurde prompt zum Spieler der Saison in der Serie A gewählt. In dieser Spielzeit hält er seine persönlichen Werte, spielt mitunter noch spektakulärer und spielprägender für die Mailänder. Und nun? Die europäischen Großklubs stehen Schlange, logisch, dem Vernehmen nach aber will Leao seinen Vertrag in Mailand verlängern. „Wir sind noch nicht am Ende“, sagt er: „Wir wollen die Champions League gewinnen.“

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