Der Mann der dürren Worte

Ernst Huberty ist im Alter von 96 Jahren verstorben – er war ein unaufgeregter Sportmoderator, der nichts Schreihälsiges, nichts Wichtigtuerisches, nichts Parteiisches an sich hatte.
Damals, in einer längst vergangenen Zeit, ging es bei uns zu Hause am Samstagabend um 18 Uhr stets darum: Schauen wir Tarzan mit Ron Ely in der Hauptrolle oder die Sportschau, wo der alte Mann die Spiele ansagt? Es gab noch keine VHS-Rekorder und schon gar keine DVD-Geräte, um Tarzan aufzunehmen. Es gab nur ein ent- oder weder.
Nur drei Bundesligabegegnungen durfte Ernst Huberty in der ARD ankündigen, die Filmspulen erreichten per Motorradkurier Last Minute das Kölner Studio, zwei Spiele mehr bekam man seinerzeit erst im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF spät am Abend zu sehen in einer unscharfen Super-8-Schmalfilm-Bildqualität. Wenn unser Verein bei Huberty in der Sportschau nicht gezeigt wurde, was meistens der Fall war, schauten wir lieber Tarzan.
Der väterliche Sportschau-Moderator war damals gerade Mitte 40, aus Sicht von uns Kindern sah er allerdings aus wie ein Opa: silbergraues Haar, korrekt gezogener Seitenscheitel, Anzug, Weste, Krawatte. Mehr Biederkeit ging nicht, und es passte, ehrlich gesagt, zu dem, was ich als Junge in den 1970ern tragen musste: graue Wollhosen, im Winter eine noch kratzigere Strumpfhose drunter. Pullover mit großen Mustern. braune Halbschuhe. Deutlich mehr Huberty als Tarzan.
Ernst Huberty, der am Montag im Alter von 96 Jahren verstorben ist, habe für die „liebenswert unaufgeregte Korrektheit der alten Bundesrepublik“ gestanden, schreibt die Deutsche Presseagentur in ihrem Nachruf. Wenn er Länderspiele kommentierte, gab es nichts Schreihälsiges, nichts Wichtigtuerisches, nichts Parteiisches.
Zur Übertragung des WM-Halbfinale 1970 gegen Italien aus dem Aztekenstadion durfte ich, gerade sechs Jahre alt, bis spät in der Nacht aufbleiben, um Deutschland zu sehen und den dürren Worten von Ernst Huberty zu lauschen. Als Karl-Heinz Schnellinger in der 90. Minute das 1:1 erzielte, sagte Huberty nur: „Schnellinger, ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener jetzt sagen.“
Denn der aufgerückte deutsche Verteidiger stand seinerzeit beim AC Mailand unter Vertrag. Deutschland verlor 3:4, Huberty blieb auch in den sich überschlagenden Ereignissen der legendären Verlängerung trotz des am Ende unerträglichen Zeitspiels der Azzurri ein Mann des Ausgleichs, derweil wir vor dem Schwarz-Weiß Fernseher aufgeregt übereinanderpurzelten.
Er hat sein Können später jungen Reportern weitergegeben, und zum Glück haben einige auf ihn gehört, wenn auch nicht alle.