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Der ganz normale Irrsinn bei der Hertha

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Von: Jan Christian Müller

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Unter Druck: Herthas Präsident Kay Bernstein.
Unter Druck: Herthas Präsident Kay Bernstein. © dpa

Hertha-Präsident Bernstein bei Mitgliederversammlung zum Finanzchaos: „Darf nie wieder passieren“ / Abwahlanträge scheitern, Lizenzentzug droht.

Es gibt gute Nachrichten von Hertha BSC. Die Berliner siegten am zweiten Spieltag der Blindenfußball-Bundesliga gegen die Spielgemeinschaft SG PSV Köln/Fortuna Düsseldorf 7:0.

Die schöne Botschaft drang am Sonntag bei der Mitgliederversammlung (1423 Mitglieder von 46 000 waren vor Ort) kaum durch. Zu verstörend war zuvor die Woche verlaufen: Erst Abwahlanträge gegen das gesamte Präsidium um Klubchef Kay Bernstein und den Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Brüggemann (die jeweils am Sonntag nach heftigen Debatten nicht angenommen wurden), gefolgt von einer von niemandem dementierten Berichterstattung der „Süddeutschen Zeitung“, wonach die Lizenz für die kommende Saison in erster oder zweiter Liga auf der Kippe steht (laut DFL „der schlimmste Fall, den wir je hatten“). Dann der Rücktritt des langjährigen Präsidiumsmitglieds Ingmar Pering, begleitet von Fundamentalkritik an der Klubführung („Egoistische und auf persönliche Vorteile bedachte Machtmenschen“ in „versammelter Inkompetenz“).

Schließlich die krachende 2:5-Niederlage des Tabellenletzten am Freitagabend beim 1. FC Köln, in deren Folge der in der ganzen Verzweiflung zum dritten Mal als Retter verpflichtete Trainer Pal Dardai sich in multiplen Fatalismus flüchtete: „Mit unseren Zweikampfwerten kommen wir nicht weiter in der Bundesliga“... „Wie kann das sein, dass diese Mannschaft es am Ende der Saison nicht geschafft hat, zweimal hintereinander zu gewinnen?“... „Bei jedem Sprint über 30 Meter können wir nicht mal gegen Köln mithalten“... „Die Mannschaft ist eben so eingekauft worden“... „Wir haben ein riesiges Mentalitätsproblem.“

Dardai wurde am Sonntagmorgen in der Messe Berlin mit Standing Ovations auf der Bühne empfangen. Der Ungar ist gerade die Identifikationsfigur, an die sich alle anderen anlehnen angesichts von fünf Punkten Rückstand auf den Relegationsplatz und nur noch sechs zu vergebenden Zählern. „Wir haben eine kleine Hoffnung, in der Liga zu bleiben. Aber ich will nicht labern, denn die Sache ist nicht mehr in unserer Hand. Wichtig ist, dass wir zusammenhalten. Wir werden gegen Bochum alles versuchen, um zu gewinnen. Dann haben wir am letzten Spieltag vielleicht noch ein Zitterspiel.“ Auswärts in Wolfsburg, wo noch um Europa gekämpft wird. Eine Herkulesaufgabe.

250 Millionen verbrannt

Das zentrale Problem neben dem offenkundigen sportlichen ist sicherlich das finanzielle, das die Hertha schnurstracks sogar in die Regionalliga (also die vierte Liga) führen könnte. Der „SZ“-Artikel wies auch ausdrücklich darauf hin, dass es nach dem Einstieg des US-Investors 777 Zweifel gäbe, ob der Deal in Einklang mit der 50+1-Regel steht oder ob der Einfluss des Hedgefonds den Verein tatsächlich zum Erfüllungsgehilfen degradiert.

Die Hertha reagierte mit einem Statement: Er befinde sich „mit der DFL sowohl bezüglich des laufenden Lizenzierungsverfahrens als auch hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der geschlossenen Partnerschaft mit unserem Investor 777 Partners in regelmäßigem Kontakt“. Übersetzt heißt das: Es pressiert, die Lage ist ernst.

777 hat laut Klubangaben 78,8 Prozent der Kapitalanteile an der Hertha BSC GmbH & Co. KGaA“ übernommen, 74,9 Prozent davon seien stimmberechtigte Aktien, so dass eine Sperrminorität von 25,1 Prozent der Stimmrechte beim Hertha BSC e.V. verbleibe. Das sind unzweifelhaft weniger als die verbandsrechtlich geforderten 50,1 Prozent, weshalb die DFL Gesprächsbedarf anmeldete.

Die Hertha hat also nicht nur wenige Punkte, sondern auch wenig zu sagen in einem Haus, das längst nicht mehr ihr eigenes ist. Für Klubchef und Ex-Ultra Bernstein fühlte sich das „knapp eine Jahr wie drei Jahre an“. Er verteidigte die Trennung von Fredi Bobic (es gab Beifall) und den Kontrakt mit 777. „Wir haben Alternativen geprüft. Aber das Invest, das wir mit 777 eingegangen sind, war aufgrund der Probleme, die war haben, alternativlos.“ Und er erläuterte, in vier Jahren seien „250 Millionen Euro verbrannt worden, „ein Irrsinn, der nie wieder passieren darf“.

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