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Der FC Bayern implodiert

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Von: Jan Christian Müller

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Ratlose Bayern stellen sich den Fans.
Ratlose Bayern stellen sich den Fans. © Imago

Die Münchner verspielen mit der 1:3-Niederlage in Mainz auch die Tabellenführung. Thomas Tuchel wirkt schon wie ein Trainer, dessen Mission bereits am Ende ist

Lag es nur am fahlen Licht drunten im Bauch der Mainzer Fußballarena, dass Oliver Kahn so blass aussah? Dass Thomas Tuchel noch elender aus tiefen Augenhöhlen unter seinem Käppi hervorlugte, ganz so, als habe er die vergangenen vier Wochen in einem düsteren Verließ verbracht? Und dass selbst der draußen an der frischen Luft noch gesund wirkende Teint bei Herbert Hainer und Hasan Salihamidzic wie mit Bräunungscreme aufgetragen wirkte?

Immerhin: Sie stellten sie allesamt, die Granden des FC Bayern, einer nach dem anderen nach einem Fußballspiel beim FSV Mainz 05, in dem in Halbzeit zwei binnen einer Viertelstunde sämtliche Systeme ihre Mitarbeit versagt hatten. 0:3 ging diese Hälfte verloren, 1:3 somit das ganze Spiel, was noch am selben Abend nach dem 4:0 von Borussia Dortmund über Eintracht Frankfurt bedeutete: Fünf Spieltage vor Ultimo droht dem implodierten FC Bayern erstmals seit zehn Jahren wieder eine Saison ohne Deutsche Meisterschaft.

Eine Saison ohne alles im Grunde. Eine Saison der teuren Missverständnisse zudem. Und auch eine Spielzeit, die neben dem bereits geschassten Trainer Julian Nagelsmann auch dem Vorstand Oliver Kahn den Job kosten wird, sobald der große Schattenmann Uli Hoeneß endgültig den Finger senkt, weil er sonst sein Lebenswerk gefährdet sieht? Jener selbe Ehrenpräsident und einflussreichste Aufsichtsrat Hoeneß, welcher mit breitem Haupt nach wie vor Hasan Salihamidzic schützt.

CEO Kahn hat nicht länger Lust, als Schuldiger am Schlamassel durchs Land getrieben zu werden. Der Druck wird neu verteilt. Der Kiefer mahlte, die Augen zu Schlitzen verengt, als Kahn rhetorisch fragte: „Wer war jetzt die Mannschaft hier, die deutscher Meister werden wollte? Das war ganz bestimmt nicht unsere Mannschaft!“

Jeder einzelne Spieler müsse „sich hinterfragen: Welchen Einsatz bring ich mit?“ Alles, was den Fußball ausmache, habe gefehlt. Dabei sei von Seiten der Führung keine Hilfestellung je verweigert worden: „Wir haben alles versucht: Persönliche Gespräche, Sitzungen, Systeme, Taktik, Trainerwechsel.“ Und am Ende die profane Erkenntnis nach einer „katastrophalen“ zweiten Halbzeit: „Es sind elf Spieler, die auf dem Platz stehen und sich für die Ziele dieses Klubs den Hintern aufreißen müssen. Um das geht es.“ Kahn fehlen schon seit Ostern die Eier. Er selbst will dem öffentlichen Gegenwind tapfer trotzen.

Zum bösen Ende hin war in dem ihm vertrauten Stadion auch Trainer Thomas Tuchel unter das Dach der Ersatzbank gekrabbelt. Der Trainer hatte wohl gespürt, dass ein Aufbäumen in der Coachingzone zum durchsichtigen Schauspiel verkommen wäre. Also blieb er lieber sitzen.

Zwei mickrige Siege sind bisher nur geblieben in sieben Spielen unter seiner Anleitung. Und doch wäre es verwegen, wenn Kahn nicht feststellen würde: „Thomas Tuchel ist der Letzte, über den wir hier diskutieren müssen.“ Einen weiteren lizenzierten Ex-Übungsleiter kann man sich gerade nicht leisten.

Dabei könnte das Durcheinander auf dem Spielfeld kaum größer gewesen sein, als es sich zwischen Minute 65 und 79 dargeboten hatte, als Mainz ohne großartige Gegenwehr das 0:1 in ein 3:1 umkehrte. Kein Schiedsrichter war Schuld, kein Rasenstück zu schlecht gepflegt von nachlässigen Greenkeepern, wie laut Tuchel noch am Mittwoch beim Königsklassen-Aus gegen Manchester City, niemand, dem der Trainer sonst die Verantwortung hätte übertragen können.

Wenn der 49-Jährige nicht gerade erst angefangen hätte bei den Bayern, könnte man denken: Da sitzt einer, der nicht mehr weiter weiß; dessen Mission bei diesem Klub am Ende ist; der gemeinsam mit seiner Mannschaft das Gespür für Gefahr verloren hat. Und der noch viel, viel wilder rotiert, als dass der Vorgänger Nagelsmann je gewagt hätte.

In Mainz wechselte Tuchel plötzlich zur Dreierkette, Thomas Müller durfte wieder mal spielen (und tat das ohne Fortune), der Trainer beließ trotz des verletzungsbedingten Fehlens von Eric Maxim Choupo-Moting die Offensivkräfte Leroy Sané, Kingsley Coman und Serge Gnabry allesamt auf der Bank, brachte früh Noussair Mazraoui für den verletzten Alphonso Davies, wechselte Müller und Joshua Kimmich beim Stand von 1:2 aus und Mathys Tel mit Ryan Gravenberch ein, beließ den zusehends schwächer werdenden Torschützen Sadio Mané lange auf dem Feld, so dass zwischenzeitlich mehr als die halbe Mannschaft aus Neuzugängen bestand und niemand mehr recht zu wissen schien, worauf der andere gerade hinauswollte.

Überforderung allüberall. Er habe „das Gefühl, wir spielen alles auf der gleichen Tonlage“, stöhnte Tuchel, „es plätschert so dahin. Wir tun uns wahnsinnig schwer, unseren Level an Energie aufrecht zu erhalten.“ Um die Akkus aufzuladen, gab er den Verlierern drei Tage frei. Vor einem Jahr nach einem 1:2 in Mainz hatte es das auch schon gegeben. Mehrere Bayern-Profis nutzten das zu einem vielkritisierten Ausflug auf die Partyinsel Ibiza. Ähnliche Reisetätigkeiten, immerhin, gelten aktuell als ausgeschlossen.

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