Der DFB auf der Suche nach Maß und Mitte

Sportliche Leistung, exaltierte Stadionregie, Umgang mit Fanprotesten und WM-Gastgeber Katar, Claim „Die Mannschaft“ – der DFB ist auf vielen Ebenen gefordert.
Am Tag nach dem beachtlichen 5:2-Sieg in der Nations League gegen Italien sah sich der etatmäßige Mönchengladbacher Stadionsprecher Torsten „Knippi“ Knippertz via Twitter zu einer Klarstellung genötigt: Er sei „NICHT“ als Stadionsprecher im Borussia-Park zuständig gewesen. „Knippi“ war zuvor vielfach fälschlicherweise verantwortlich gemacht worden für absurd übersteuerte Ansagen und die für viele bis weit über die Grenze des Erträglichen hochgetunten Musikeinspielungen, die wie im Wahn offenbar eine hyperventilierende Feierstimmung suggerieren sollten. In den Sozialen Netzwerken hagelte es wiederholt Zorn auf den in diesen Geschmacksfragen offenbar unbelehrbaren Deutschen Fußball-Bund und deren für ein Höchstmaß an Eventisierung und Inszenierung engagierte Stadionregie. Auf Twitter fasste jemand treffend zusammen: „Woher kommt eigentlich der Glaube, Fußballfans wollten sich vor dem Spiel den Gehörgang freigepustet bekommen?“
Es ist dies nur ein weiteres leider abschreckendes Beispiel, wie der DFB zuverlässig dabei scheitert, Maß und Mitte zu finden. Das gilt nicht nur für den Fußball auf dem Platz, wo einem ernüchternden 1:1 in Ungarn ein festives 5:2 gegen Italien folgte und niemand hinterher recht wusste, was mit dem einen wie dem anderen anzufangen ist. Und das setzt sich fort in der Debatte um den nach dem WM-Triumph 2014 präsentierten Markennamen „Die Mannschaft“ und die zweifellos komplexe Diskussion um den Umgang mit den Menschenrechten in Katar.
In Mönchengladbach spielte die Stadionregie zur Pause Westernhagens „Freiheit“ ein, bedauerlicherweise während der Pandemie von „Querdenkern“ als eigene Hymne beschlagnahmt, in diesem Fall im Stadion aber begleitet vom Friedenssymbol im Mittelkreis und vieltausendfach vom Publikum dankbar stimmlich begleitet. Währenddessen entfalteten Mitglieder der Mönchengladbacher Fangruppe „Sottocultura Ultras“ ein Plakat mit dem Aufdruck „15 000 Tote für große Kulissen. Fifa und Co. ohne Gewissen - Boycott Qatar“. Die Ultras entrollten die rund 20 Meter lange Banderole - Zufall oder Programm - genau dann, als die Werbebande darunter auf „Die Mannschaft“ drehte.
Die Aktivistengruppe rückte alsbald aus dem Block wieder ab und wurde wenig später kurzzeitig von der Polizei zur Ermittlung der Personaldaten festgesetzt. Und zwar ausdrücklich auf Betreiben des DFB, wie dieser einräumte: Die Fans hätten das Stadion „sehr schnell“ verlassen. „Aufgrund dieses untypischen Verhaltens und aus Sorge um die Sicherheit der Veranstaltung informierte der DFB die Polizei.“
Herausgekommen ist dabei die für den DFB unangenehme Interpretation, dass der Verband unangemessen konfrontativ auf Katar-Kritik reagiert hätte - ein Vorwurf, den die Kommunikationsabteilung umgehend zu entschärfen versuchte. Es liege nicht im DFB-Interesse, die Meinungsfreiheit einzuschränken, im Gegenteil. Die Fragen der Arbeiter:innenrechte, „die eingeschränkte Presse- und Meinungsfreiheit und die Situation für die LSBTIQ+ Gemeinschaft“ bedürften eines „kritischen Diskurses“. Hierzu trage „die deutsche Fankultur in erheblichem Maße bei, was wir ausdrücklich begrüßen“. Ein wenig kleinlaut räumte der DFB noch ein: „Wie sich später herausstellte, ging von der Aktion keinerlei Gefahr aus.“ Rechtliche Schritte würden laut Polizei ergo nicht erhoben. Was aber bleibt, ist ein unangenehmer Nachgeschmack.
Ohnehin scheint man sich im Nationalteam nach mehreren Vortragreihen zum Thema Katar und Menschenrechte vorerst auf einen öffentlich zurückhaltenden Umgang mit dem WM-Gastgeberland geeinigt zu haben, was angesichts der in vielen Beiträgen geäußerten Fundamentalkritik an Katar etwas verwundern mag. Von Bundestrainer Hansi Flick war auf die Frage eines italienischen Journalisten nichts Erhellendes zu vernehmen, Kapitän Manuel Neuer moderierte die Frage, ob er wie bei der EM 2021 auch in Katar die Regenbogenbinde tragen werde, routiniert ab. Im Sommer 2021 habe er das vor dem Hintergrund des „Pride-Monats“ getan - eine interessante Exit-Strategie. Denn der Pride-Monat, in dem in Regenbogenfarben für Vielfalt geworben wird, ist tatsächlich der Juni. Die WM in Katar findet aber im November und Dezember statt, was Neuer in der ihm eigenen Logik vom Tragen der Regenbogenfarben dort entbinden würde, Manager Oliver Bierhoff hatte zudem zuletzt in diversen Interviews bezweifelt, ob es strategisch klug sei, sich im Klein-Klein zu verlieren und einen „Ideen-Wettbewerb“ einzelner Nationen zu veranstalten. Besser sei es, wenn die Verbände, die bereit sind mitzumachen, eine konzertierte Aktion starteten. Man wird sehen, was tatsächlich passiert.
Das gilt auch für den Claim „Die Mannschaft“. Laut einer repräsentativen Umfrage der Nürnberger Unternehmensberatung SLC ist die Akzeptanz des als künstlich empfunden Namens so niedrig wie nie zuvor. Fast 80 Prozent plädierten für eine Abschaffung. Zum Vergleich: Nach der Einführung waren noch 55 Prozent dafür gewesen. Der angesehene Kommunikationsfachmann Dirk Metz riet dem DFB im „Kicker“ dazu, eine Weisheit der Dakota-Indianer zu behelligen: „Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest, steige ab!“ Ähnlich sieht es der für die Umfrage zuständige SLC-Mann Alfons Madeja: „Der Claim erzeugt keine Emotionen und keine Identifikation. Er geht an den Empfindungen der Menschen vorbei.“
Das DFB-Präsidium, aus dem Oliver Bierhoff im März ausgeschieden ist, wird zeitnah darüber beraten. Die Meinung eines einflussreichen Mitglieds steht. Der von der Bundesliga abgeordnete Vize Hans-Joachim Watzke will den Markenbegriff weghaben. „Es ist respektlos gegenüber allen anderen erfolgreichen Mannschaften. ‚Die Mannschaft‘ gibt es nicht, es gibt viele Mannschaften.“
Bierhoff wirkt entschieden „not amused“ über die nun wieder intensiver geführte Debatte. „Die Diskussion sollte nicht emotional, sondern sachlich geführt werden“, sagt er und führt aus: „Gibt es gute Argumente gegen diese Bezeichnung. Oder nur das berühmte Bauchgefühl?“ Die Umfrageergebnisse sprechen verdächtig für ein mit guten Argumenten unterfüttertes Bauchgefühl.