Das Sinnbild Emre Can

BVB-Coach Edin Terzic traut sich an große Namen heran. Mats Hummels saß in fünf der letzten sechs Spielen auf der Bank. Marco Reus, immerhin Kapitän, war gegen Chelsea auch nicht erste Wahl. Ein Kommentar.
Es ist jetzt nicht besonders schwer, den erfahrenen Fußballprofi Emre Can als Symbolfigur für einen neuen Dortmunder Geist auszumachen. Der 29-Jährige ist seit Wochen in herausragender Form, ein Ein-Mann-Bollwerk, furchtlos, unkaputtbar, unverzichtbar. Seine erstaunliche Entwicklung steht im totalen Einklang mit der Entwicklung der Mannschaft. Die persönliche Leistungsexplosion korrespondiert mit der kollektiven, sehr wahrscheinlich hängt beides kausal zusammen. Sieben Pflichtspiele hat der BVB in diesem Jahr bestritten und siebenmal gewonnen. Eine makellose Bilanz – und kein Zufall.
Am Mittwochabend auf der grell ausgeleuchteten Bühne der Könige war es nicht nur Sprintkönig Karim Adeyemi, der gegen ein bemerkenswert starkes Chelsea-Team das Zünglein an der Waage war. Auch Emre Can stellte sich den Londonern wie eine Wand entgegen, räumte ab und auf, hielt den Verbund zusammen und sorgte für Stabilität.
Und ganz nebenbei glänzte er mit einer spektakulären Rettungstat: Nach einer von vielen Paraden des überragenden Torhüters Gregor Kobel hinderte er den Ball mit letztem Einsatz am Überqueren der Torlinie, schoss die Kugel im Rutschen Millimeter vor dem Kreidestrich ins Feld zurück. Es wäre der Ausgleich kurz vor Schluss gewesen. Auch was dann folgte steht irgendwie sinnbildlich für den BVB-Spirit im Jahr 2023: Die Herren Kobel, Nico Schlotterbeck, Jude Bellingham, Niklas Süle und Salih Özcan beglückwünschten Can Brust an Brust zu seiner Großtat. Da war Erleichterung, Entschlossenheit, aber auch Gemeinsinn zu erkennen. Es war zu spüren, hier entsteht etwas, hier geht es jetzt um mehr als den Einzelnen, hier will ein Team zusammen Erfolg haben. Um jeden Preis.
Ein Team. Das ist gutes Stichwort, wenn es um das Borussia Dortmund der vergangenen Jahre geht. Eine talentierte Gruppe hatten die Westdeutschen ja immer zusammen, eine sündhaft teure Truppe noch dazu, doch meistens wurden sie irgendwann von der ewigen Mentalitätsdebatte eingeholt, überrollt und irgendwo als untauglicher Möchtegern-Bayern-Jäger wieder ausgespuckt. Auch jetzt ist es nicht gesagt, dass sich die Schwarzgelben unerbittlich an die Fersen der Münchner heften, schließlich reden wir von der Borussia aus Dortmund, die in ihrem Wundertüten-Kosmos auch gerne mal wieder einknicken kann, ohne dass man großartig erklären könnte, weshalb. Außer halt, siehe weiter vorne, die Mentalitätsdebatte.
Trainer Edin Terzic aber hat an Format und Statur gewonnen, er hat einen klaren Plan, orientiert sich an einem neuen Pragmatismus: Fußball muss nicht immer schön sein, aber er sollte erfolgreich sein. Deshalb setzt er gerne mal auf eine etwas rustikalere Spielweise, gegen Chelsea etwa stellte er den Arbeiter Salih Özcan für den Freigeist Marco Reus auf. Der ist immerhin Kapitän. Und war nicht begeistert. Doch der Coach, auch das ist Zeichen einer persönlichen Entwicklung, traut sich an große Namen heran. Mats Hummels saß in fünf der letzten sechs Spielen auf der Bank. Dem Mannschaftserfolg war das nicht abträglich.