Was soll die Konsequenz für die Zukunft sein?
Aus meiner Sicht wäre es ein Fehler, künftig mit der Haltung in die Zukunft zu gehen, Sport und Politik müssten völlig voneinander getrennt werden. Richtig wäre gewesen, es jedem Spieler selbst zu überlassen, ob er sich äußern möchte oder nicht. Stattdessen hat man mit der Binde versucht, eine gemeinsame Haltung in die Mannschaft hineinzutragen. Nachdem man das getan hatte, hätte man nicht nachgeben dürfen. Wer A sagt, muss auch B sagen, meistens jedenfalls! Dann hätte man es notfalls sogar alleine, auch ohne die anderen Nationen, durchziehen müssen.
Der Schuss ging tatsächlich nach hinten los gegen die gewiefte Fifa …
Ja, und ich habe nicht verstanden: Wieso kündigt man das großartig an? Warum geht Neuer nicht einfach mit einer Regenbogenbinde auf den Platz? Wenn ich protestieren will, frage ich doch vorher nicht die Instanz, die ich angehen will, um Erlaubnis!
Es kam dann die Aktion mit dem Mundzuhalten.
Ja, das war eine sehr subtile Botschaft. Derart subtil, dass sie viele nicht oder falsch verstanden haben. Viele Fans, mit denen ich gesprochen haben, waren ratlos. Das war zu sehr um die Ecke gedacht.
Aber wenn die Spieler nichts gemacht hätten, wären sie ebenso kritisiert worden, Herr Bode.
Fürchte ich auch. Die Mannschaft hatte irgendwann das Gefühl: Egal was sie tut, sie kann es sowieso niemandem recht machen. Die Erwartungshaltung für eine politische Botschaft der Mannschaft war in Deutschland hoch. Zu hoch. Thomas Hitzlsperger hat das jetzt wohltuend selbstkritisch eingeräumt.
Er sagte, er habe die Mannschaft zuvor ausdrücklich animiert, die WM als Plattform zu nutzen und für die Werte einzustehen. Das sei ein Fehler gewesen. Wörtlich sagte er: „Heute muss ich erkennen: Wir haben uns verrannt. Wir haben zu sehr gedacht, dass wir die Bühne nutzen müssen, um Menschen eine Stimme zu geben, die keine Stimme haben.“
Das fand ich eine bemerkenswerte Aussage des stärksten TV-Experten, den ich bei dieser WM erlebt habe.
Schauen wir auf den Fußball, den das DFB-Team geboten hat. Wie hat es Ihnen gefallen?
Es hat vor allem an gutem Defensivverhalten gemangelt. Beim Anlaufen, beim Pressing und auch im eigenen Sechzehner waren wir zu passiv, nicht aggressiv genug. Deshalb wurden auch viel zu viele Chancen zugelassen. Auf der anderen Seite fehlte Effektivität im Torabschluss – aber da war auch Pech im Spiel. Und erlauben Sie mir den Gedanken als Bremer: Vielleicht hätte Füllkrug konstant spielen sollen!
Wie haben Sie Flick erlebt?
Nicht so souverän, wie ich erwartet hatte. Kommunikation, Körpersprache und Charisma sind für einen Trainer auf diesem Niveau bei einem solch bedeutenden Turnier etwas sehr Wichtiges. Ich finde es aber mehr als unfair, jetzt zu unterstellen, er hätte mit den Bayern das Triple nur deshalb gewonnen, weil die Mannschaft so gut war und er es im Grunde laufen lassen konnte. Er konnte gar nicht so gut sein, wie er gemacht wurde. Und er ist jetzt auch nicht der Volldepp.
2024 steht die EM im eigenen Land vor der Tür. Was muss der DFB jetzt tun?
Er sollte fachlich diskutieren, ob es notwendig ist, mit einem neuen Bundestrainer und einem neuen Sportgeschäftsführer in Richtung EM zu gehen. Es gibt aus meiner Sicht sehr wohl Argumente, das mit Hansi Flick und auch mit Oliver Bierhoff zu tun. Es stellt sich aber die Frage, wie groß der Druck auf die Protagonisten wird und wie sie damit umgehen. Ich fürchte, dass dieser Druck auf Oliver Bierhoff enorm wird. Werden wir automatisch eine bessere EM spielen, wenn Oliver Bierhoff weg ist? Nein! Blödsinn!
Und wenn wir nicht fachlich diskutieren?
Dann schauen wir auch auf die Stimmung im Lande. Der Wind bläst gegen Bierhoff und wird vielleicht zum Sturm werden. Bei Flick sehe ich das nicht so extrem.
2004 hat Rudi Völler das Feld freiwillig geräumt. War das nicht der genau richtige Schritt?
Zumindest hat es den Weg für Jürgen Klinsmann frei gemacht, der uns bunte Bilder in den Kopf gesetzt hat, für eine Aufbruchstimmung sorgte und mutig Reformen antrieb. Es war der Job seines Lebens, das hat man gespürt: Projektmanager WM 2006. Aber wenn man Klinsmann dann später erlebt hat, ist ja kaum noch nachvollziehbar, was er damals ausgelöst hat in Deutschland. Auch an diesem Beispiel sehen wir, wie verrückt diese Fußballwelt ist.
Interview: Jan Christian Müller