„Da kann ich nur den Kopf schütteln“

Was Fußballfachmann Andreas Rettig von Fifa-Präsident Infantino, RB-Chef Mintzlaff, der neuen DFL-Chefin Hopfen, BVB-Geschäftsführer Watzke und den beiden DFB-Kandidaten Peters und Neuendorf hält.
Andreas Rettig gehört zu den profundesten Kennern und Kritikern des deutschen Fußballs. Im FR-Interview spricht der ehemalige Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga Klartext über den Umgang mit Wladimir Putin, den DFB, die DFL, die Fifa und RB Leipzig.
Herr Rettig, Sie haben mit Viktoria Köln am Friedensmarsch für die Ukraine teilgenommen. Was tun Sie als Drittligist noch?
Wir haben als äußeres Zeichen unser Stadion, die Eckfahnen und den VIP-Raum in den ukrainischen Farben geschmückt. Zudem haben wir die Einnahmen des Landespokal-Viertelfinalspiels mit unserem Gegner FC Hürth in der vergangenen Woche der ukrainischen Partnerstadt Peremyschljany gespendet. Weitere Hilfsmaßnahmen sind in Planung. Und natürlich haben meine Frau und ich auch privat gespendet.
Bei RB Leipzig war man sehr entrüstet über die Kritik am Klub, der zunächst nicht klar kommuniziert hatte, dass er auf keinen Fall gegen Spartak Moskau spielen wird. „Wir müssen uns für nichts entschuldigen“, sagte RB-Boss Mintzlaff. Wie sehen Sie das?
Eine Haltung ist für mich dann glaubwürdig, wenn man sich zu einem Thema klar positioniert, auch wenn es einen persönlichen Nachteil mit sich bringen kann.
Mintzlaff verweist darauf, die erste Reaktion seines Klubs sei gewesen: „Sport verbindet“. Ist das nicht nachvollziehbar?
Einem Verein oder Verband aus einem Land, welches von einem Kriegsverbrecher in einen Vernichtungskrieg geführt wird und dabei alle moralischen und ethischen Grundsätze missachtet, eine „verbindende“ Rolle zuzutrauen, halte ich für reichlich naiv.
Der DFB hat sich vor der Uefa- und Fifa-Entscheidung nicht konkret zu Sanktionen geäußert – im Gegensatz etwa zu England, Frankreich, Polen, Schweden und weiteren Verbänden. Wie beurteilen Sie das?
Ich habe gehört, dass hinter den Kulissen sehr engagiert Position bezogen wurde. Mir hat aber auch hier die zeitnahe öffentliche Positionierung gefehlt.
In welcher Rolle sehen Sie Fifa-Präsident Gianni Infantino, den Träger des Ordens der Freundschaft aus der Hand von Putin 2019?
In der Rolle eines kühlen, empathielosen und taktierenden Funktionärs, der seine eigene persönliche Agenda hat. Vermutlich hat er für diesen Orden in seinem neuen schmucken Zuhause in Katar schon ein schönes Plätzchen gefunden.
Beim DFB stehen diese Woche Präsidentenwahlen an. Auch Vize-Präsidenten werden gewählt. Erwarten Sie den viel beschworenen Neuanfang?
Ja.
Der neue Präsident dürfte Bernd Neuendorf werden, ein Quereinsteiger, SPD-Politiker und Ex-Journalist. Was halten Sie vom ihm?
Ich kenne und schätze ihn. Er ist ein unbelasteter, integrer und verlässlicher Partner. Das hat er als Präsident meines Heimatverbandes Mittelrhein unter Beweis gestellt.
Neuendorf sagt, er wolle die Kollegen Rainer Koch und Peter Peters in den Top-Gremien von Uefa und Fifa belassen. Hat Koch damit weiterhin zu viel Macht im DFB?
Mich verwundert ein wenig die Frage. Meines Wissens hat Koch seinen Rücktritt als erster Vize-Präsident und damit aus dem engsten Entscheidungszirkel bereits erklärt. Wer Bernd Neuendorf kennt, weiß, dass er sich nicht fremdbestimmen lässt.
Der langjährige Schalker Finanzchef Peters kämpft verbissen um das Präsidentenamt. Was trauen Sie ihm zu?
Meine Einschätzung gebe ich auf Basis knapp 20-jähriger Zusammenarbeit in unterschiedlichen Konstellationen ab, etwa als Geschäftsführer oder Vorstandskollege der Deutschen Fußball-Liga. Er hat einen der Top-Traditionsvereine in seiner fast 20-jährigen Verantwortung als Finanzchef nahezu in den wirtschaftlichen Ruin geführt. Auch als Aufsichtsrat der DFL ist er nicht durch kluge Entscheidungen aufgefallen. Zudem konnten wir in den vergangenen Tagen bei seinen öffentlichen Auftritten erkennen, dass er keinen moralischen sportpolitischen Kompass besitzt und ihm die Fähigkeit der Selbstreflexion fremd ist. Dass jemand, der seit 2007 mehr oder weniger in alle DFB-Entscheidungen involviert war, nun so tut, als hätte er damit nichts zu tun und jetzt als Präsidentschaftskandidat für einen Neuanfang stehen will – mit Verlaub: Da kann ich nur den Kopf schütteln.
zur person
Andreas Rettig ist Geschäftsführer beim Drittligisten FC Viktoria Köln. Zuvor war der 58-Jährige Manager bei Bayer Leverkusen, dem SC Freiburg, dem FC Augsburg, der Deutschen Fußball-Liga und beim FC St. Pauli. jcm
Die Frauengruppe „Fußball kann mehr“ wurde nach Wahrnehmung der Anführerin Katja Kraus im DFB als Bedrohung empfunden. Hat Sie das überrascht?
Ab dem 11. März gehen die Uhren anders. Dann beginnt eine neue Zeitrechnung. Da bin ich sicher. Ich bin von einem Schulterschluss von DFB und DFL zum Wohle des deutschen Fußballs überzeugt. Das Wettrennen um Deutungshoheiten muss aufhören. Wohin die Spaltung führt, die von interessierter Seite immer wieder befeuert wird, sehen wir in diesen Tagen.
Was erwarten Sie vom DFB und der Nationalmannschaft im Hinblick auf die WM in Katar?
Eine klare gesellschaftliche Positionierung.
Können Sie nachvollziehen, dass Bundestrainer Hansi Flick sich auf den Sport konzentrieren will?
Ich schätze Hansi Flick sehr und habe keine Zweifel an seiner grundsätzlichen Haltung. Aber eine WM ist für einen Trainer eine unglaubliche Kraftanstrengung. Hier ist in erster Linie das Umfeld gefordert.
Die DFL wird seit Anfang Januar von einer Frau geführt. Wird Donata Hopfen die Machtfülle ihres Vorgängers Christian Seifert erreichen können?
Sie stellen nun zum zweiten Mal die Machtfrage.
Beim ersten Mal ging es um den Deutschen Fußball-Bund, jetzt um die Deutsche Fußball-Liga, Herr Rettig. Die Differenzierung sei erlaubt.
Diese Klassifizierungen und Denkmuster haben sich für mich in einer modernen Führungskultur überholt.
Der neue starke Mann in der DFL ist BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, der Aufsichtsratsvorsitzende. Sein Vorgänger Peters stand Seifert treu zu Diensten. Wie verschiebt sich das jetzt im Duo Hopfen/Watzke?
In Aki Watzke sehe ich eine integrative Kraft, mit der ich große Hoffnungen verbinde.
In ihrem ersten Interview schloss Donata Hopfen Ligacup-Spiele in Saudi-Arabien nicht aus. Hätte sie das tun sollen, ja sogar tun müssen?
Dass Frau Hopfen bei einem ihrer ersten öffentlichen Auftritte als neue DFL-Geschäftsführerin erklärt, dass „wir unsere Tradition und Werte bewahren“, um dann einen Supercup in Saudi-Arabien in Erwägung zu ziehen, hat mich sprachlos gemacht.
Zudem argumentierte sie, dass auch kein Denkverbot bei Playoff-Spielen verhängt werden dürfe, um dem öden Titelkampf wieder zu mehr Spannung zu verhelfen. Hat sie denn nicht Recht oder ist das ein Armutszeugnis für die Bundesliga?
Es ist in erster Linie für mich der Beleg, dass die DFL sich auch zukünftig schwerpunktmäßig als Vermarktungsverband sieht.
Haben Sie sie schon kennengelernt und was erwarten Sie konkret von ihr?
Nein, noch nicht. Das sage ich ihr persönlich, sobald ich sie treffe.
Interview: Jan Christian Müller