Christian Seifert hält das Steuer

Wie der Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) versucht, die Bundesliga aus der existenzbedrohenden Coronakrise zu navigieren. Gefühle haben wenig Platz.
Normalerweise pflegt Christian Seifert im Zuge seiner Pressekonferenzen ganz gern noch ein bisschen Smalltalk. Aber zum Smalltalk gibt es in Zeiten des Coronavirus gerade keinen Anlass. Zu ernst ist die Lage auch für den Anführer des deutschen Profifußballs. Seifert ist es seit 15 Jahren gewohnt, die Geschicke der Bundesligen zu lenken. In der aktuellen Gesundheitskrise ist dem 50-Jährigen das Steuer von der großen Politik aus der Hand genommen worden. Eine schlechte Weile hatte man nicht viel gehört vom Sprecher des Präsidiums der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Schon galt der zweifache Familienvater als kalt lächelnde Symbolfigur einer unbarmherzigen Kommerzmaschine, die ohne den leisesten Anflug und Moral von Anstand ihr milliardenschweres Geschäftsmodell brachial durch ein zunehmend brachliegendes Land zu navigieren versucht.
Bis er zum Wochenbeginn mit starrem Blick einen fensterlosen Raum im Kongresszentrum des Frankfurter Flughafen betrat und nach 38 Minuten genauso zielgerichtet wieder verließ. Nur acht Reporter waren aus gesundheitssichernden Gründen zugelassen worden, den ersten Mann im Fußballland nach der außerordentlichen Klub-Versammlung zur größten Krise des deutschen Profifußballs zu befragen. Die meisten Menschen, die Seifert im Livestream zur Lage der Fußballnation im Jargon eines unbeirrbaren Krisenmanagers sprechen hörten, waren beeindruckt.
Diejenigen, die ihn länger kennen, hatten nichts anderes erwartet als einen durchstrukturierten Vortrag, in dem auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen wurden. Etwa die, dass nur sogenannte Geisterspiele den Fortbestand aller 36 Lizenzklubs sichern können, für die er als Bundesliga-Commissioner hauptverantwortlich Sorge trägt. Seifert mag es nicht, wenn es argumentativ gefühlig wird, so wie gerade jetzt, da etliche Menschen im Land der DFL vorwerfen, der Coronakrise lediglich mit einem wirtschaftlich-technokratischen Denkansatz zu begegnen. Profifußball hat für den ehemaligen Medienmanager viel, viel mehr mit Unternehmertum in einer Unterhaltungsbranche zu tun als mit Kultur. In seiner Konsequenz hält er dabei auch in jenen Tagen, in denen ihm so scharfer medialer Gegenwind entgegenbläst wie niemals zuvor, stabil Kurs.
Gefühle haben keinen Platz, genauso wenig wie Fans
Nichts ärgert den gebürtigen Badener mehr, als wenn ihm diejenigen, für die er als CEO der Bundesliga rackert, öffentlich in den Rücken fallen. Dass einzelne Klubvertreter vor der Tagung am Montag kundtaten, Geisterspiele seien keine Lösung, gar „lächerlich“, ließ ihn fassungslos zurück. Denn nach Einsicht in die Bilanzen sind solche Partien unter Ausschluss eines breiten Publikums in den Stadien der einzig praktikable Ausweg, um mithilfe der nur dann wieder fließenden Medienerlöse Insolvenzen zu vermeiden. Auch wenn sich Geisterspiele nicht gut anfühlen mögen. Gefühle haben hier keinen Platz, genauso wenig wie Zuschauer,
„Es mag vor dem Treffen unterschiedliche Sichtweisen gegeben haben“, sagte Seifert also. „Ich gehe davon aus, dass es jetzt nur noch eine gibt.“ Seine natürlich. Und seine Sicht ist keine Sicht, die auf Befindlichkeiten Rücksicht nehmen könnte – erst recht nicht auf die der hartnäckig nörgelnden Fanvereinigungen. Dafür ist die Finanzlage im Zuge der Gesundheitslage zu ernst.
Seiferts Job als Cheflobbyist ist es jetzt mehr denn je, die Unternehmensgrundlage für einen 4,7-Milliarden-Euro-Betrieb zu stützen, der trotz exponentiell gestiegener Einnahmen im Angesicht von noch viel exponentieller wachsenden Krankheitszahlen schneller zu kollabieren droht, als einer breiten Bevölkerung das zunächst klarzumachen war.
Der Mann ohne Nerven hat überlang daran festgehalten, am vergangenen Wochenende noch Fußball vor leeren Rängen spielen zu wollen. Am Ende ließ sich diese „Augen-zu-und-durch“-Strategie nicht halten. „Ich verstehe, dass es für Außenstehende so ausgesehen hat, als wären wir von Sinnen“, sagte er bei der Pressekonferenz, „Der Kritik stelle ich mich gerne, weil das bedeutet, Verantwortung zu übernehmen.“ Er findet die Vorhaltungen, der Profifußball werde so seiner gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht, gleichwohl unangebracht und oberflächlich. Sein Credo ist wie in Stein gemeißelt: Er kümmert sich um eine sehr gute Vermarktung und fordert im Gegenzug von den Klubs sehr guten Fußball. Gesellschaftliche Verantwortung wurde zeitig in die DFL-Stiftung ausgelagert. Da will sich einer vom Kerngeschäft nicht allzu sehr ablenken lassen.
Menschen, die ihn gut kennen, wollen nicht öffentlich genannt werden ,wenn sie sagen, Seifert sei „ein Topmann, ein scharfer, flinker Denker, der das andere auch gern spüren lässt“, aber bei Kritik ein „Glaskinn“ offenbare. Will heißen: Seifert kann gut austeilen, aber schlecht einstecken. Ganz falsch ist diese Charakterisierung sicher nicht.
Seinen Einfluss hat Seifert gemehrt. Seit August gibt es als Primus inter pares keinen Liga-Präsidenten mehr, statt einen Nachfolger für Reinhard Rauball und dessen verbindlichen Gemüts zu suchen, wurde das Amt kurzerhand aus der Satzung gestrichen. Für den neuen DFB-Präsidenten Fritz Keller als möglichst komplikationslosen Juniorpartner hat sich Seifert persönlich stark gemacht - und wirkt arg enttäuscht von dessen bisheriger Performance. Das Verhältnis zum DFB hat sich indes gewandelt, seit Seifert in dem zum Direktor aufgerückten Oliver Bierhoff einen Ansprechpartner gefunden hat, dessen Augenhöhe er anerkennt. Seitdem arbeiten DFL und DFB zielstrebiger in dieselbe Richtung, um den hiesigen Fußball wieder an die Weltspitze heranzuführen.
Gemeinsam mit Bierhoff und seinem jahrelangen internen Widersacher, dem für lästige Amateurbelange zuständigen neuen DFB-Außenminister Rainer Koch, ist Seifert die einzige verlässliche Konstante im deutschen Fußball, die über die Staatsgrenzen hinaus geachtet ist. Sein Netzwerk reicht bis ganz nach oben, Fifa- und Uefa-Präsident gehen ans Handy, wenn der DFL-Chef durchklingelt, mit Gesundheitsminister Jens Spahn hat er zuletzt fast eine Standleitung gehalten.
Es ist noch gar nicht allzu lange her, seit Seifert sagte, der Profifußball in Deutschland habe „in den letzten Jahren großen wirtschaftlichen Erfolg“ erlebt und müsse „aufhören, sich für seinen Erfolg zu rechtfertigen“. Jetzt muss er sich auch damit beschäftigen, dass seriöse Medien wie die „Stuttgarter Zeitung“ der Bundesliga vorwerfen, die Beteiligten hätten sich „in altrömischer Dekadenz die Taschen gefüllt“. Seiferts Pressekonferenz vom Montag sei das „erschütternde Eingeständnis des Totalversagens einer Milliardenbranche“ gewesen.
Für solche Kritiker des Turbokapitalismus im Profifußball hatte Christian Seifert nur ein müdes Lächeln übrig. Bisher.