Bloß nicht abgehoben

Ein spektakulärer Wolkenkratzer in Frankfurt ist das neue Domizil der deutschen Nationalmannschaft.
Es ist ein fast majestätischer Anblick auf die Frankfurter Skyline, den die Gäste aus dem Hotel Meliá Frankfurt City genießen. Wabenförmig ragen darüber noch die luxuriösen Apartments in den Himmel, und schon von weitem fällt die spektakuläre Architektur dieses noch nicht einmal zwei Jahre alten Wolkenkratzers auf, in dem sich seit Sonntag die deutsche Nationalmannschaft versammelt hat. Mitten in der Stadt an der Senckenberganlage gleich neben der Messe und im alten Uni-Viertel zu wohnen, ist ein Zeichen, um mit diesem Teamhotel zugleich für mehr Bodenständigkeit zu stehen.
Der DFB-Tross begnügt sich schließlich mit einer Vier-Sterne-Herberge, für die in einschlägigen Hotelportalen nicht durchgängig gute Bewertungen zu finden sind. Einige stören sich am Teppichboden, die anderen am Service – aber jedes Mal antwortet die Hotelleitung auf Beschwerden höflich. Sicherlich wird nun alles getan, um Deutschlands besten Fußballern einen angenehmen Aufenthalt zu ermöglichen. Das Hotel gehört zum Komplex „One Forty West“ und steht an einem besonderen Ort. Wo früher Abertausende angehende Soziologen Lehrerinnen ihre Klausuren schrieben, nächtigen nun die DFB-Kicker im Vorlauf auf die Länderspiele gegen Peru (Samstag 20.45 Uhr/ZDF) und drei Tage später gegen Belgien in Köln (20.45 Uhr/RTL).
Hier stand nämlich über Jahrzehnte der mehr als 100 Meter hohe AfE-Turm, im Volksmund „Lehrerturm“ genannt, das Wahrzeichen der Fachbereiche Erziehungs- und Gesellschaftswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität. Ein Koloss aus Stahl und Beton, der vor neun Jahren atemberaubend in die Luft gesprengt wurde. Zwei Jahre nach der Detonation kam sogar noch ein Buch heraus, wie widersprüchlich das hässliche Hochhaus auf dem Campus Bockenheim wahrgenommen wurde. Für die einen war es eine Ausbildungsfabrik in einem hässlichen Ungetüm, für die anderen das Sinnbild einer demokratischen Hochschule.
Umdenken bei Völler
Festhalle, Senckenberg-Museum, Goethe-Uni oder Palmengarten sind von hier fußläufig erreichbar – aber auch das Bahnhofsviertel mit seinen rund um die Uhr offenkundigen Problemen liegt nicht weit weg. Vorbei am Nadelöhr rund um den Hauptbahnhof muss sich die nächsten Tage der Mannschaftsbus zu allen Presseterminen und Trainingseinheiten auf dem DFB-Campus zwängen. Näher liegt von hier aus das Stadion am Brentanobad im Frankfurter Stadtteil Rödelheim, wo am Montag die öffentliche Trainingseinheit stattgefunden hat. Gut möglich, dass in Zukunft häufiger in der Spielstätte der Fußballerinnen von Eintracht Frankfurt trainiert wird.
Es sind Maßnahmen, mit denen die durch die in jeder Hinsicht vermasselte WM in Katar verlorene Fannähe wieder hergestellt werden soll. „Wir müssen das Wir-Gefühl rüberbringen, dass wir weder eine Einheit bilden und die Menschen begeistern“, fordert der neue Sportdirektor Rudi Völler. In seiner Zeit als Teamchef hatte das Nationalteam übrigens lange im Kempinski Gravenbruch gegenüber des Autokinos im Süden Frankfurts zwischen Neu-Isenburg und Heusenstamm gewohnt. Einige Kilometer außerhalb der Stadt, aber mit garantiert staufreier Anbindung an den neuen DFB-Campus.
Deshalb kehrte das Nationalteam hier vor einem Jahr wieder zurück, und auch die Frauen schlugen hier zuletzt regelmäßig auf. Nach Völlers Ablösung 2004 und dem Einstieg des Reformers Jürgen Klinsmann hatte die Unterkunft gewechselt: Vorübergehend zog die Nationalmannschaft damals ins ehemalige Frankfurter Intercontinental am Mainufer, um mehr den Pulsschlag einer Großstadt zu spüren. Fast zwei Jahrzehnte später schlägt das Team unter dem Sportchef Völler erneut denselben Weg ein.