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Bayern-Trainer Thomas Tuchel: Aufrecht im Sturm

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Von: Ingo Durstewitz

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Hat nichts zu Lachen, seit er in München arbeitet: Thomas Tuchel.
Hat nichts zu Lachen, seit er in München arbeitet: Thomas Tuchel. © IMAGO/Philippe Ruiz

Tuchel weist eine ausgesprochen miese Bilanz auf, aber er duckt sich nicht weg vor der Verantwortung / „Das wird keine Saison mehr, mit der wir zufrieden sind“

Wer den vom Fußball besessenen Thomas Tuchel nur ein bisschen näher kennt, der weiß, wie sehr ihn die heftig verfahrene Situation der Bayern belastet. Das krachende Ausscheiden im nationalen Pokal und aus der Champions League und nun, als Worst Case obendrauf, noch die Meisterschaft so gut wie verspielt – das nimmt der Trainer Tuchel persönlich. Diesen Absturz, diesen Systemausfall, nein, das kann sich ein Perfektionist wie der 49-Jährige selbst nicht verzeihen. „Diese Verantwortung trage ich zu 100 Prozent. Das wird mir auch keiner ausreden“, sagte er am Freitag. „Sobald ich an der Seitenlinie bin, bin ich verantwortlich, voll verantwortlich.“ In letzter Konsequenz müsste er bei so viel Pflichtgefühl schon wieder seinen Hut nehmen. Mission angetreten, Mission krachend an die Wand gefahren. Und tschüss.

Das wird nicht passieren, selbst dann nicht, wenn die Münchner am Samstag in Köln tatsächlich nur als Vize ins Ziel laufen und sich Borussia Dortmund nach zehn Jahren Bayern-Dominanz die Schale schnappen würde. Tuchel wird bleiben.

So oder so „nicht zufrieden“

Der hochdekorierte Coach, betonen die Verantwortlichen an der Säbener Straße unisono, mache einen ganz hervorragenden Job. Da sind sie sich ausnahmsweise mal einig, Oliver Kahn, Hasan Salihamidzic und auch die Allmacht im Hintergrund, Uli Hoeneß. An Tuchel liege es nicht, dass am Samstag wohl auch der dritte Titel, der ehrlichste, die Meisterschaft, flöten gehen wird.

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Dort liegt Tuchels Vorgänger, der auf einmal nicht mehr wohlgelittene Julian Nagelsmann, in allen relevanten Feldern weit vorne. Unter ihm waren die Bayern in allen drei Wettbewerben noch voll im Rennen, unter ihm setzte es in 37 Pflichtspielen drei Niederlagen – unter Tuchel sind es in elf Partien schon vier Pleiten. Der Toreschnitt sank von 3,0 auf 1,8, dafür schlägt es jetzt häufiger im eigenen Kasten ein. Nagelsmann: 0,9 Gegentore, Tuchel: 1,5. Das sind Fakten, die lassen sich nicht schönen oder hinbiegen. So gesehen war der Trainertausch ein klassisches Eigentor, ja ein Flop.

Ob das nun wirklich an Tuchel liegt oder an der permanenten Unruhe im Verein? Oder an der Mannschaft, den fehlenden Führungskräften auf dem Feld? Oder den allenfalls mäßig befähigten Führungskräften auf den Vorstandsfluren? Oder dem vielleicht doch nicht so schlechten Verhältnis des Teams zum geschassten Vorgänger Nagelsmann? Darüber zu spekulieren, ist müßig, jetzt, da die Saison schon so gut wie in den Sand gesetzt ist. Die Zeit für die großen Analysen wird kommen, in den Tagen nach dem Abpfiff der Saison. Klar ist nur: „Das wird keine Saison mehr, mit der wir zufrieden sind“, sagt Tuchel. „Ganz egal, wie es am Ende ausgeht.“

Gestählt durchs Ausland

Man kann Tuchel die Misere vielleicht anlasten, aber man kann dem früher oft kauzig und ruppig daherkommenden Ex-Dortmunder und Ex-Mainzer nicht vorwerfen, nicht alles versucht oder sich weggeduckt zu haben. Er, der hagere Asket, steht voll im Sturm und fällt nicht um. Seine öffentlichen Auftritte sind inhaltlich nicht immer glücklich. Er ist manchmal auf einem Schlingerkurs, mal „schockverliebt,“ dann einigermaßen entsetzt, ratlos und auch realitätsfern („Hatten City zweimal am Haken“). Doch Tuchel läuft nicht davon, ist nicht beleidigt oder sucht die Schuld bei anderen. Er hält Kritik aus. Er hat das lernen müssen, die Zeit im Ausland bei Großklubs wie Paris Saint-Germain und dem FC Chelsea haben ihm gut getan und ihn gestählt. Früher in Mainz und auch noch in Dortmund war das anders, da nervte er Mitarbeiter und Verantwortliche zusehends. Denn Gesprächspartner kann er nur ernstnehmen, wenn er sie auf Augenhöhe wähnt. Das sind nicht viele.

Tuchel also wird einen neuen Anlauf nehmen, in der nächsten Saison, er wird die Mannschaft nach seinen Vorstellungen umbauen, umbauen dürfen. Solche eine Saison lässt sich der FC Bayern nicht noch einmal bieten. Doch dann trägt Thomas Tuchel die volle Verantwortung – mit allen Konsequenzen.

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